"Die Stunde der evangelischen Kirche" - noch einmal offensive Theologie

Vor seiner Entlassung als kommissarischer Oberkonsistorialrat meldete sich Halfmann noch einmal gezielt zu Wort. Adolf Hitler hatte im Februar 1937 eine Kirchenwahl angekündigt, diese Ankündigung nutzt Halfmann als Gelegenheit, erneut mit dem Kirchenkonzept der BK offensiv an die Öffentlichkeit zu treten. Unter dem anspruchsvollen Titel "Die Stunde der evangelischen Kirche" veröffentlicht Halfmann in Breklum eine Broschüre, in der sich der Öffentlichkeitswille der BK noch einmal kämpferisch und argumentationsfreudig darstellt:

Die Stunde ist gekommen, klarzustellen, was evangelische Kirche ist und was nicht. Die Stunde der Kirche ist gekommen, sich auf ihre Grundlagen zu besinnen. Alle Gemeindeglieder sind aufgerufen ernst zu nehmen, was in der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche längst entschieden ist: "Die unantastbare Grundlage der DEK ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation ans Licht getreten ist."

"Unantastbare Grundlage - schreibt Halfmann - hier ist der Schlüssel der ganzen Kirchenfrage", denn diese Grundlage ist angetastet durch die vielen neuen Propheten, Deutsche Christen, Deutschkirche, Nationalkirchliche Bewegung, Bund für deutsches Christentum, Deutsche Glaubensbewegung, Deutsche Gotteserkenntnis usw.

Diese Grundlage ist angetastet durch die Manipulation an der Bibel, durch die Absage an das Alte Testament als Fremdkörper "schädlich der deutschen Seele, widerwärtig dem deutschen und dem nordischen Geist", und das Herausschneiden aus dem Neuen Testament, was jüdisch scheint, besonders die paulinische Kreuzestheologie. Halfmann scheut die Ironie nicht: Wie kann man das AT verachten, wenn der Führer es selbst nutzt und seine Wahlrede am 4. März 1933 mit dem Psalmwort schließt: "Wenn der Herr nicht das Haus baut, arbeiten umsonst, die daran bauen."

Die Grundlage der evangelischen Kirche ist angetastet, wenn Offenbarungsquellen proklamiert werden in Blut und Boden, in der Tiefe der deutschen Seele, im NS-Staat mit seiner neuen Volksgemeinschaft. Wenn die Deutschkirche diesen neuen Staat, dieses "völkische Erleben", als neues Pfingstwunder preist, dann zeigt sie in Überdeutlichkeit, was sie wirklich will: eine Kirche, die nicht mehr die Kirche Jesu Christi ist. Es ist die 1. Barmer These, die Halfmann nicht zitiert, aber mit Leidenschaft vertritt.

Halfmann nennt die Bewegungen, die er anprangert "Bindestrich-Religionen", die immer 2 Worte brauchen, wenn sie von der Kirche reden, d.h. neben Christus setzen sie ein weiteres Zentrum, eine weitere verpflichtende Größe. Das ist eine Versuchung, eine häretische Grundgefahr, die die Gemeinde Jesu Christi von Anfang an begleitet: Christus und ... "Christus und die Beschneidung" im Galaterbrief, "Christus und die Speisegesetze" in der Apostelgeschichte und im Kolosserbrief, "Christus und das Amt, das sich über die Schrift stellt" in der Reformation. Halfmann analysiert das "Christus und ..." in der Gegenwart: Christus und die völkische Bewegung, Christus und das Deutschtum, "Das volle Ja zu Christus und das volle Ja zum Führer", so die Devise der Lutherischen Kameradschaft.

Halfmann Urteil ist klar und entspricht der kirchengeschichtlichen Erfahrung: Wer dem "und" folgt, gerät auf die schiefe Ebene ohne Halt. Mit dem "und" geht das Evangelium zu Bruch. Dagegen gibt es nur ein Mittel: Umkehr zu dem Grund, der gelegt ist, Umkehr zu dem Gott, der das Angesicht Jesu Christi trägt, Umkehr zu dem Wort, das uns in der Heiligen Schrift überliefert und in den Bekenntnissen der Reformation ausgelegt ist. Dabei geht es nicht um "Theologengezänk" oder "mittelalterlichen Dogmenkram", wie die Deutschkirchler und andere höhnten, sondern es geht um das Fundament, das allein der Kirche trägt. Und auf eine Kirche, die diesem Grund treu ist, kann auch der Staat verlässlich bauen.

Halfmann feuert Breitseiten mit theologischer Wucht und erzielt außergewöhnlichen publizistischen Erfolg. Die Nachfrage ist gewaltig. Die ersten 20.000 Exemplare waren nach wenigen Wochen verkauft, eine 2. Auflage von 20.000 wurde ausgeliefert, eine 3. Auflage wurde vorbereitet, dann kam das Verbot der Reichsschrifttumskammer, die Gestapo beschlagnahmte die noch vorhandenen Exemplare. "Partei und Staat standen die kritisierten Gruppen allzu nahe, als dass sie sich nicht durch Halfmann bloßgestellt fühlen mussten" (Reumann S. 318). Man kann sagen, mit der "Stunde der evangelischen Kirche" schlägt auch Halfmanns Stunde als Oberkonsistorialrat im LKA: er ist in diesem Amt nicht mehr tragbar. Dr. Kinder, der seine wichtigen Entscheidungen stets vorher mit Staat und Partei abklärt, entlässt ihn im September 1937.

Karl Ludwig Kohlwage

Aus: Karl Ludwig Kohlwage, Manfred Kamper, Jens-Hinrich Pörksen (Hrsg.): "Was vor Gott recht ist". Kirchenkampf und theologische Grundlegung für den Neuanfang der Kirche in Schleswig-Holstein nach 1945. Dokumentation einer Tagung in Breklum 2015. Zusammengestellt und bearbeitet von Rudolf Hinz und Simeon Schildt in Zusammenarbeit mit Peter Godzik, Johannes Jürgensen und Kurt Triebel, Husum: Matthiesen Verlag 2015, S. 31 f.