Weblinks:
SELK-Hamburg, Datenblatt zu Friedrich Wilhelm Slotty
Thomas Schleiff, Zeitungsartikel 2019 zu Friedrich Slotty
Friedrich Slotty (1877-1953)
... Unsere Tante Thea, zweitälteste Schwester meines Vaters, eine etwas eigenwillige, sehr begabte und gut aussehende junge Frau, war als Hilfe zu hinfälligen alten Verwandten nach Magdeburg geschickt worden. Dort verliebte sie sich und heiratete bald einen einundzwanzig Jahre älteren, bärtigen Pastoren, Friedrich Slotty, einen Witwer mit vier, beziehungsweise fünf halbwüchsigen Kindern.
Während die beiden Söhne durch erfreuliche Intelligenz und die beiden Mädchen durch besondere Ansehnlichkeit auffielen, wurde das fünfte Kind durch einen medizinischen Fehler bald nach der Geburt so schwachsinnig, dass es bis zu seinem fünfunddreißigsten Jahr in völliger geistiger Umnachtung dahinvegetierte.
Für die Familie war das ein sehr großes Unglück, das meine Tante zum Entsetzen der Verwandtschaft mit aller sonstigen Belastung auf sich nahm. Den so völlig behinderten Helmuth pflegte sie klaglos fast dreißig Jahre lang. Jeden Morgen wurde er gebadet. Der angehende Arzt Gottfried nannte das salopp treffend "er wird aus der Scheiße gezogen". Dann wurde er mit frischer Wäsche versehen und in einen inzwischen getrockneten Strohsack gesteckt.
Der Pastor Friedrich Slotty, ein patriarchalisch aufrechter, starker Mann, war 1927 von seiner freikirchlichen Magdeburger Gemeinde in die Schleswig-Holsteinische Landeskirche übergetreten, weil er die medizinischen Studienkosten seiner Söhne aus den freiwilligen Beiträgen seiner Gläubigen nicht bezahlen konnte. Gesetzt hatte man ihn und die Seinen daraufhin in ein kleines holsteinisches Dorf mit dem Namen Sankt Michaelisdonn, das man mit seinem neuen Pastor nun nicht mehr gottverlassen nennen konnte.
Wir haben die Slottys ab und zu dort besucht. Mein Vater verstand sich gut mit seinem pastoralen Schwager. Die große Familie bewohnte ein über dreihundert Jahre altes Pastorat, ein geräumiges, strohgedecktes Fachwerkhaus, mit einem schönen Garten. Dort entfalteten die Slottys eine rührende Gastlichkeit. Das Gästebuch mit vielen schönen Eintragungen ist noch erhalten.
Nur eine Seite, die ich darin fand, passte nicht hinein. Mein Vetter Götz, ältester Sohn meines Berliner Patenonkels Max Werner, Studienprofessor seines Zeichens, und seiner schüchternen Frau Franziska, blieb auf einer Radtour einige Tage bei Slottys. Sein Eintrag in das Gästebuch lautete lapidar: "Heil Hitler!" Darunter stand sein Name und sonst nichts. Für den Hausherrn war das kein kleiner Ärger.
Der begeisterungsfähige Vetter, der dann die Spanienintervention für Franco mitgemacht hatte, wurde 1943 über Leningrad abgeschossen. Ein etwas jüngerer Bruder Bernd studierte auf Staatskosten Meteorologie und war nicht schlecht auf die Naziwirtschaft zu sprechen.
1923 hatten Slottys ein liebes, kleines Mädchen, Gertrud, bekommen. Und dann gab es 1933 noch einen Nachkömmling namens Stephan. Zusätzlich zu aller Arbeit leitete die Tante Thea einen kleinen Kirchenchor, und zum Gottesdienst begleitete sie den Gemeindegesang auf der Orgel. Begleiten ist nicht der ganz richtige Ausdruck. Mit ihrem Temperament eilte sie dem trägen Gesang der Dörfler oft einen Takt voraus.
Die Machtübernahme der Nazis brachte 1933 starke Unruhe in die ländliche Idylle. Friedrich Slotty folgte seinem Gewissen und lehnte den Hitler-Gruß ab mit der Begründung "Ich wünsche ihm kein Heil." Als einziger Pfarrer in der Provinz ließ er sich nicht vereidigen.
Daraufhin wurde er scharf beobachtet. Die Familie galt als Außenseiter der sogenannten Volksgemeinschaft. Den behinderten Sohn wollte der Kreisarzt in eine Anstalt bringen lassen. Friedrich Slotty, der erfahren hatte, was die nazistische Medizin mit behinderten Menschen anstellte, weigerte sich entschieden, den Kranken aus dem Haus zu geben. Kurz nach dem Krieg starb der behinderte Sohn im Haus seines Vaters.
Mit Datum vom 20.02.1939 übersandte die Geheime Staatspolizei Kiel folgenden Bericht über den Pastor Friedrich Slotty an das Landeskirchenamt Schleswig-Holstein:
"Seine staatsfeindliche Betätigung erreicht ihren Höhepunkt darin, dass er seine Konfirmanden gegen Staat und Partei aufhetzt und die Juden in jeder Weise in Schutz nimmt. Durch die Vernehmung mehrerer Konfirmanden wurde festgestellt, dass Slotty äußerte, die Juden hätten Deutschland im Weltkriege durch die Beschaffung von Kupfer und anderen Metallen geholfen, da sonst Deutschland viel früher den Krieg verloren hätte. Außerdem seien die Juden viel bessere Arbeiter als die Arier, ihr Vermögen sei durch ehrliche Arbeit erworben, und Deutschland würde sich auf den Zeitpunkt freuen, wo es die Juden wieder holen könnte. (...)"
Daraufhin wurde der Pastor vor das Sondergericht in Kiel geladen. Für die nazihörigen Deutschen Christen, die die Kirche damals regierten, war er nicht mehr tragbar und wurde seines Amts enthoben. Die Familie war in großer Sorge, dass man ihn in ein Konzentrationslager bringen könnte.
Sein Nachfolger setzte die Slottys kurzerhand vor die Tür des schönen Pastorats. Diese wählten die nächste Kreisstadt Lunden als neuen Wohnort, wo sich ein passendes Haus fand. Wenigstens hatte man Friedrich Slotty das Gehalt, von dem die große Familie leben und die Söhne studieren konnten, nicht wesentlich gekürzt. Das Berufsverbot traf den Pastor schwer. Er zog sich aus allem zurück, widmete sich viel dem geisteskranken Sohn, dem er abends Choräle vorsang, um ihn ruhig zu halten. ...
Uwe Martin, Lebenskreise, Berlin: epubli 2012, S. 16-19.