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Kurt Meier, Die Deutschen Christen. Das Bild einer Bewegung im Kirchenkampf des Dritten Reiches, Halle (Saale) 1965.

Die Grundsätze der Deutschen Christen als Provokation

Was Balzer so unnachahmlich bündig sagte, hat eine Vorgeschichte, die in die Zeit vor 1933 und weit davor zurückweist. Pastoren und Gemeindeglieder, die sich in einer politischen und ideologischen Kampffront mit den Nationalsozialisten verbündet wussten, gab es schon vor 1933. Sie formulierten vielleicht nicht so paukenartig wie Balzer und Gesinnungsgenossen: "Die Kirche ist die SA Jesu Christi", aber ihr Programm ging in diese Richtung.

Die Richtlinien der Glaubensbewegung Deutsche Christen vom 26. Mai 1932 mit 10 Punkten machen das konkret. Ich zitiere einige Kernsätze, die wichtig sind, um das Folgende zu verstehen.

1. Diese Richtlinien wollen allen gläubigen deutschen Menschen Wege und Ziele zeigen, wie sie zu einer Neuordnung der Kirche kommen. Diese Richtlinien wollen weder ein Glaubensbekenntnis sein oder ersetzen, noch an den Bekenntnisgrundlagen der Evangelischen Kirche rütteln. Sie sind ein Lebensbekenntnis.

2. Wir kämpfen für einen Zusammenschluss der im "Deutschen Evangelischen Kirchenbund" zusammengefassten 29 Kirchen zu einer evangelischen Reichskirche und marschieren unter dem Ruf und Ziel:

"Nach außen eins und geistgewaltig,
Um Christus und sein Werk geschart.
Nach innen reich und vielgestaltig,
Ein jeder Christ nach Ruf und Art!" (nach Geibel)

3. Die Liste "Deutsche Christen" will keine kirchenpolitische Partei im bisher üblichen Sinne sein. Sie wendet sich an alle evangelischen Christen deutscher Art. Die Zeit des Parlamentarismus hat sich überlebt, auch in der Kirche ... Wir wollen eine lebendige Volkskirche, die Ausdruck aller Glaubenskräfte des Volkes ist.

4. Wir stehen auf dem Boden des positiven Christentums. Wir bekennen uns zu einem bejahenden artgemäßen Christus-Glauben, wie er deutschem Luther-Geist und heldischer Frömmigkeit entspricht.

5. Wir wollen das wiedererwachte deutsche Lebensgefühl in unserer Kirche zur Geltung bringen und unsere Kirche lebenskräftig machen. ...

7. Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen, für deren Erhaltung zu sorgen uns Gottes Gesetz ist. Daher ist der Rassenvermischung entgegenzutreten ...

8. ... Bloßes Mitleid ist "Wohltätigkeit" ... und verweichlicht ein Volk. Wir wissen etwas von der christlichen Pflicht und Liebe den Hilflosen gegenüber, wir fordern aber auch Schutz des Volkes vor den Untüchtigen und Minderwertigen. Die Innere Mission (also: Diakonie) darf keinesfalls zur Entartung unseres Volkes beitragen ...

9. In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum, sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper ... Insbesondere ist die Eheschließung zwischen Deutschen und Juden zu verbieten.

10. Wir wollen eine evangelische Kirche, die im Volkstum wurzelt, und lehnen den Geist eines christlichen Weltbürgertums ab. Wir wollen die aus diesem Geiste entspringenden verderblichen Erscheinungen wie Pazifismus, Internationale, Freimaurertum usw. durch den Glauben an unsere von Gott befohlene völkische Sendung überwinden ...

In diesen 10 Punkten, die zur "Richtschnur für die kommende Evangelische Reichskirche" erklärt werden, zeichnet sich Gleichschaltung in einer bemerkenswerten Form ab: das Vokabular der NS-Weltanschauung wird im christlichen Gewand vollständig übernommen. Die Kirche als Ausdruck aller Glaubenskräfte unseres Volkes - "das ist das Original des NS-Glaubensbegriffs" (K. D. Schmidt) - positives Christentum, artgemäßer Christusglaube, heldische Frömmigkeit gegen weichliche Mitleidstheologie, Schutz vor Entartung, wiedererwachtes deutsches Lebensgefühl, Rasse, Nation, Volkstum als Gottes Gabe und Gesetz, keine Rassenvermischung, keine Judenmission, kein Eingangstor für fremdes Blut, kein christliches Weltbürgertum, also keine Ökumene in heutiger Sprache, sondern eine völkische Sendung. Nationalsozialistische Leitbilder werden eins zu eins auf die Theologie, auf den Glauben, auf die Kirche übertragen.

Die Bekennende Kirche entstand, weil auf das Programm der DC reagiert werden musste. Und diese Reaktion war umso dringlicher, weil diese DC-Richtlinien kein Diskussionsangebot waren, sondern ein Manifest zur inneren und äußeren Umgestaltung der Kirche, das mit Zielstrebigkeit und Energie verfolgt wurde - und mit Erfolg, was die Besetzung von kirchlichen Ämtern auf allen Ebenen betrifft: von Bischöfen, Pröpsten, Landeskirchenräten, Pastoren, Kirchenvorständen. Dabei war die Neuformung kirchlicher Organe wie Synoden und Kirchenleitung identisch mit ihrer Zerschlagung. Das Handstreichartige im staatlichen Bereich hatte kirchliche Parallelen. Sie können diesen Krimi in hervorragenden Darstellungen von Propst Bielfeldt, Klauspeter Reumann, Kurt Meier und Kurt Dietrich Schmidt u. a. nachlesen.

"Kirche muss Geist vom Geist des Staates und Wille von seinem Willen sein" - enthusiastische Sprüche wie dieser des neuen Landesbischofs Paulsen sollten den Umformungs- und Gleichschaltungsprozess befeuern, aber sie schmiedeten auch die Entschlossenheit der Abwehr: So nicht! Kirche muss Kirche bleiben! wurde ein Schlachtruf. Kirche kann und darf nicht in Gleichklang mit dem NS-Weltanschauungsstaat gebracht werden.

Waren es zuerst Einzelne, die ihre Stimme gegen die Übergriffe der DC auf die Landeskirche erhoben, so nahm hier in Breklum auf dem Jahresfest im Juni 1933 diese Opposition organisatorische Gestalt an in einem Bruderkreis junger Theologen, der eine Erklärung gegen die Gewaltmaßnahmen der DC veröffentlichte. Er lehnte die Methoden des politischen Kampfes ab und forderte die Auseinandersetzung mit geistlichen Mitteln, und das sei die Predigt des Wortes Gottes nach den Bekenntnissen der Kirche.

Aus dem Breklumer Kreis ging im Oktober die "Not- und Arbeitsgemeinschaft Schleswig-Holsteinischer Pastoren" hervor, die sich als SH-Gruppe des Pfarrernotbundes verstand, den Pastor Martin Niemöller gegründet hatte als Antwort auf die nazi-konforme Reichskirche unter Reichsbischof Müller. Die NAG wollte mehr sein als eine Pastorenvereinigung, in die Abwehrfront gegen Irrglauben und Ungeist der neuen Zeit musste die Gemeinde mit einbezogen werden, deswegen trat die NAG mit einem Bekenntnisgottesdienst am 3. 6.1934 in der Nikolaikirche Kiel an die Öffentlichkeit. Pastor Halfmann/ Flensburg trat in einer großen Grundsatzrede der Irrlehre der DC, ihrer Ideologiehörigkeit und ihrem Rassismus entgegen. "In dem Augenblick, wo neben Christus eine andere Stimme Gottes gepredigt und gehört wird - die Stimme aus der Geschichte, aus dem Blut, aus der Rasse, aus dem Volkstum, dann ist Christus nicht mehr das Wort Gottes. Dann wird das Bekenntnis der Kirche: 'Jesus Christus der Herr' geleugnet. Dann ist das Ende der Kirche da." Barmen wird deutlich vernehmbar in diesem Satz, vor allem die klarsichtige Erkenntnis: in der Auseinandersetzung mit den Leitbildern und der Dynamik der DC geht es nicht um einen beliebigen Streit, um "Theologengezänk", sondern um Sein oder Nichtsein der Kirche. Der Sportpalastskandal im November 1933 hatte das blitzartig deutlich gemacht.

Karl Ludwig Kohlwage

Aus: Karl Ludwig Kohlwage, Manfred Kamper, Jens-Hinrich Pörksen (Hrsg.): "Was vor Gott recht ist". Kirchenkampf und theologische Grundlegung für den Neuanfang der Kirche in Schleswig-Holstein nach 1945. Dokumentation einer Tagung in Breklum 2015. Zusammengestellt und bearbeitet von Rudolf Hinz und Simeon Schildt in Zusammenarbeit mit Peter Godzik, Johannes Jürgensen und Kurt Triebel, Husum: Matthiesen Verlag 2015, S. 16 ff.