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In seiner ersten Psalmenvorlesung (WA 3/4; 55,1/ID) kam der Wittenberger Augustinereremit immer wieder auf die Juden zu sprechen. Sie verschmähten den Mittler Christus, wüssten nichts von Gottes Barmherzigkeit und Gnade und seien in ihrer eigenen Gerechtigkeitslogik gefangen, also darauf fixiert, durch eigene Werke bei Gott gerecht zu werden. Von der Ankündigung Christi im Alten Testament verstünden sie in ihrer Verstocktheit nichts. Ihre messianischen Erwartungen und ihre ganze Hingabe an das Gesetz, in der sie Gott zu lieben scheinen, seien "fleischlicher" Art, denn sie hofften nur auf zeitliches Gut und eigenen Ruhm. Der Talmud habe sie vom rechten Verständnis der Bibel abgeführt und in ihrer Hochmütigkeit bestärkt, die sich zu Unrecht auf die Kindschaft Abrahams berufe. Sie stellten ein Exempel des Zornes Gottes dar, seien schuld am Tod Christi und deswegen bei allen Völkern ein Schimpf. Das Gesamtbild des Judentums, das Luther in dieser Vorlesung zeichnete, war ausgesprochen negativ; in ihrer Zeit wurde sie allerdings nicht verbreitet. (Thomas Kaufmann, Luthers Juden, 3. Aufl. 2017, S. 50)

"Dass der Antijudaismus, auch der Antisemitismus, die evangelische Kirche bis tief hinein in ihre Pfarrerschaft erfasst, sie zum Schweigen, zum unbeteiligten Zusehen und zum mangelnden Widerstand veranlasst hat, ist ein ebenso unbestreitbares wie beschämendes Faktum. Es auf die Prägung durch Luther und seine späten Judenschriften zurückzuführen, geht an den Quellen vorbei, wie gerade jüdische Forscher gezeigt haben. Es wird Zeit, dass die Willkür, mit der sich die evangelische Kirche und Theologie angesichts ihres bedrückenden Versagens im Dritten Reich ohne Rücksicht auf die Quellen ein eigenes Geschichtsbild bastelt, ein Ende findet." (Wallmann 2016, S. 323)

Spätfolgen Luthers?

Erich Vogelsang, Luthers Kampf gegen die Juden (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte 168), Tübingen: Mohr 1933.

  • In dieser Schrift setzt sich Vogelsang kritisch mit der landläufig gewordenen Auffassung zu Luthers Haltung gegenüber den Juden nach Reinhold Lewin (Luthers Stellung zu den Juden, 1911) auseinander und lässt ihr eine sehr viel differenziertere Darstellung des Sachverhalts folgen mit dem Skopus: "Für Luther ist die Judenfrage zuerst und zuletzt die Christusfrage (S. 9). ... In gleicher Absicht schrieb Luther seine letzten Kampfschriften wider die Juden, 'nicht daß ich wolle mit den Juden zanken, viel weniger, daß ich die Juden bekehren wolle', sondern 'unsern Glauben zu stärken, daß wir Gott fürchten, daß wir nicht auch zuletzt in solchen und noch ärgeren Zorn fallen, sondern sein göttlich Wort ehren und die Zeit der Gnaden nicht versäumen' (W. 53, 417, 21 ff. 522, 25). Das ist gewiß alles noch keine Lösung der sog. Judenfrage, aber es ist doch immer das erste und letzte Wort Luthers zur Sache" (S. 20).

Karl Barth, Lutherfeier 1933 (Theologische Existenz heute, Heft 4), München: Chr. Kaiser 1933.

Ernst Wolf, Martin Luther, das Evangelium und die Religion (Theologische Existenz heute, Heft 6), München: Chr. Kaiser 1934.

Gerhard Pfeiffer, Totaler Staat - und Luther? Luthers Lehre vom Verhalten des Christen im Staate (Bekennende lutherische Kirche, Heft 6), Neuendettelsau: Freimund 1951.

Walther Bienert, Martin Luther und die Juden. Ein Quellenbuch mit zeitgenössischen Illustrationen, mit Einführungen und Erläuterungen, Frankfurt am Main: Ev. Verlagswerk 1982.

Gottfried Maron, Luther und die "Germanisierung des Christentums". Notizen zu einer fast vergessenen These, in: ZKG 94 (1983) 313-337.

Heinz Kremers (Hrsg.), Die Juden und Martin Luther. Martin Luther und die Juden. Geschichte - Wirkungsgeschichte - Herausforderung, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 1985. 

Jörgen Sontag; Martin Luther und die Juden, in: Annette Göhres, Stephan Linck, Joachim Liß-Walther (Hrsg.): Als Jesus "arisch" wurde. Kirchen, Christen, Juden in Nordelbien 1933-1945. Die Ausstellung in Kiel, Bremen: Edition Temmen 2003, 22004, S. 117-131.

Nils Wöhnl, Martin Luthers Wirkungsgeschichte im Deutschen Kaiserreich und im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Wandel. Studienarbeit, München: Grin 2012 (Leseprobe).

Thomas Kaufmann, Luthers Juden, Stuttgart: Reclam 2014.

Johannes Wallmann, Die Evangelische Kirche verleugnet ihre Geschichte. Zum Umgang mit Martin Luthers Judenschriften, Teil I, Teil II, Nachtrag; in: Deutsches Pfarrerblatt 2014.

Kundgebung "Martin Luther und die Juden - Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum". 2. Tagung der 12. Synode der EKD, 8. bis 11. November 2015 Bremen. 11. November 2015.

Johannes Wallmann, Die evangelische Kirche bastelt sich ihre Geschichte. Zu dem von Luther angeblich eingerichteten Judensonntag, Teil I und Teil II, in: Deutsches Pfarrerblatt 5/2016, S. 252 ff. und 6/2016, S. 319 ff.

Sören Widmann, Martin Luther und die Juden. Nachfragen zur Kundgebung der 12. EKD-Synode, in: Deutsches Pfarrerblatt 6/2016, S. 316 ff.

Ferdinand Ahuis, Notorisch knapp bei Kasse. Luthers Biographie und die Juden, in: Deutsches Pfarrerblatt 10/2022, S. 629 ff.