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Johannes Schilling, Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schleswig-Holsteins nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Matthias Ludwig, "... viele kleine Kirchen". Das Kapellenbauprogramm der 1960er Jahre in Schleswig-Holstein. Beiträge zur Denkmalpflege in Schleswig-Holstein 2, hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege, dem Ev.-Luth. Kirchbauverein für Nordelbien und dem Nordelbischen Kirchenamt Kiel, Kiel 2011, S. 15-33.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die vorerst letzte große "Kirchenbaukonjunktur". Es ging einmal darum, die verheerenden Folgen des Bombenkrieges zu beseitigen. Daß dabei neue Raumlösungen entstehen konnten, läßt sich besonders gut am Lübecker Dom erkennen. Hier hat der Architekt das Kirchenschiff als Gottesdienstraum um eine neue Mitte geordnet, während der riesenhafte Chorraum für andere Zwecke abgesondert worden ist. Meist wurde aber versucht - natürlich mit den modernen Möglichkeiten der Bautechnik - den Kirchen ihre Gestalt vor der Zerstörung wiederzugeben. Beispiele sind die Lübecker Marienkirche und die Nikolaikirche in Kiel. Neue Gotteshäuser - erstmals seit der Reformation auch wieder katholische in größerer Zahl - wurden gebaut, um den Flüchtlingen und Vertriebenen ein kirchliches Zuhause zu schaffen. Während bis Ende der 1950er Jahre vor allem Kirchen entstanden, die reine Räume für den Gottesdienst sein sollten, wurde in den beiden folgenden Jahrzehnten meist Kirchen geplant, deren sakraler Raum so angelegt ist, daß er auch für andere Zwecke genutzt werden kann. Erwähnt werden muß schließlich das vom Kirchenbauverein Schleswig-Holstein in den 1960er Jahren angeregte "Kapellenbauprogramm", in dessen Rahmen etwa 100 neue Gotteshäuser entstanden. Viele Neubauten aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts blieben zweckmäßig und unspektakulär. Doch es entstanden auch interessante neue Kirchen, die geistliche Tiefe repräsentieren. In modernen Architekturformen, beispielsweise an der 1959 erbauten Thomaskirche in Molfsee-Schulensee, erscheinen die Motive von Schiff und Zelt, Metaphern für die christliche Gemeinde auf dem Weg durch die Zeit.

Der Wiederaufbau der Landeskirche Schleswig-Holsteins

Am Anfang also kein Maßnahmenkatalog, keine to-do-Liste, sondern der biblische Auftrag, das Wort des Herrn. Aber es mussten Maßnahmen getroffen werden in einer Kirche, die in ihren Strukturen, in wichtigen Ämtern, in ihrer Rechtsordnung ruiniert war und wieder aufgebaut werden musste. "Wir haben keine Kirchenleitung mehr", hatte Pastor Wester schon 1934 gesagt und damit so etwas wie die Notkirchenleitung durch die BK begründet.

Das Bischofsamt war durch die braune Synode 1933 zur Karikatur geworden und hatte jegliche geistliche und auch administrative Autorität verloren.

Die eigentliche Leitung der Kirche lag in den Händen eines Landeskirchenamtspräsidenten, der gar kein Kirchenamtspräsident war, sondern eine Art Staatskommissar ohne Bindung an Verfassung, Bekenntnis, Synode, Kirchenleitung. Seine Bezugsgrößen waren Partei und staatliche Organe, mit denen er die wichtigen Entscheidungen abstimmte. "Ein-Mann-Kirche" wurde das genannt.

Eine Landessynode existierte nicht mehr, sie hatte sich selbst aufgelöst und für irrelevant erklärt gegenüber dem "Führerprinzip".

Es gab einen Religionsunterricht im Lande, der - das zeigen die Anklagen der BK - in vielen Schulen nicht der biblischen Botschaft, sondern den nordisch-germanischen Göttern verpflichtet war, ohne Widerspruch offizieller kirchlicher Stellen.

Es gab Pröpste und Pastoren, die nicht aufgrund ihrer theologischen und kirchenleitenden Kompetenz ins Amt gekommen waren, sondern aufgrund ihrer Partei- und NS-Weltanschauungstreue.

Was ist mit der Jugend, die gezielt dem christlichen Glauben entfremdet worden war? Die am Sonntagmorgen zur Gottesdienst-Zeit zum HJ-Dienst antreten musste und nicht "Lobe den Herrn" und "Geh aus, mein Herz" sang, sondern "Es zittern die morschen Knochen" und "Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt".

Was ist zu tun? Also: es gab eine lange to-do-Liste, eine lange Auftragsliste mit Dingen, die in Ordnung gebracht werden mussten. Wie sollte das geschehen? Wie wird Einigkeit hergestellt in dem, was notwendig ist? Dieselbe Frage gab es 12 Jahre vorher beim Angriff der DC: wie wird Einigkeit und Handlungsfähigkeit hergestellt in der Abwehr von Irrlehre und Zerstörung des Evangeliums von Jesus Christus?

Die Entscheidung damals war: wir machen das nicht unter uns, nicht im kleinen Kreis, nicht nur unter Pastoren, sondern mit synodaler Repräsentanz, im "Miteinander auf dem Weg". So kam es zu 2 Bekenntnissynoden in Schleswig-Holstein, trotz fehlender rechtlicher Bestimmungen eine bewusste Absage an die vorangegangene Synodenzerstörung. Diese Bekenntnissynoden waren das Modell für das, was nach 1945 geschah, um wieder aufzubauen, um die Konturen der Kirche zu formen, die Schrift und Bekenntnis entsprach.

Muss das denn sein, werden vielleicht nicht wenige gefragt haben: eine Synode? 3 Monate nach dem Zusammenbruch? Post und Bahn funktionierten nicht. Die Militärregierung muss eine Ausnahme vom Versammlungsverbot aussprechen. Unterkunft und Verpflegung von Synodalen sind hochproblematisch. Für die Bestimmung von Synodalen gibt es keine rechtlichen Grundlagen. Noch einmal muss das Vertrauensleute-System von vor 10 Jahren aktiviert werden.

Es gab Schwierigkeiten en masse, aber dagegen stand: wir brauchen eine Synode, wir wollen eine Synode. Und dieser Wille - das ist sehr wichtig - wird nicht nur von der BK formuliert, sondern auch von anderen kirchlichen Gruppierungen, wie der sog. Lutherischen Kameradschaft, der Propst Hasselmann-Flensburg angehörte, und der sog. Mitte, deren Repräsentant Propst Siemonsen-Schleswig war. Es gab also von verschiedenen Seiten diese Stimmen: das Fundament für den Neuanfang in Schleswig-Holstein soll von einer Synode gelegt werden.

Dieser synodale Wille, nicht nur von der BK vertreten, ist auffallend, möglicherweise etwas Besonderes im Reich. Die BK in Schleswig-Holstein hat jedenfalls nicht das Zepter in die Hand genommen, hat keinen Alleinvertretungsanspruch beim Neuanfang erhoben, sondern zugestimmt, dass dieser Neubeginn auf breiterer Basis erfolgt. Propst Hasselmann hat auf der 1. Vorläufigen Synode fair geurteilt: "Die BK hat das Recht erworben, den Kurs der Kirche zu steuern", aber die BK insistierte nicht darauf.

Unterstützung des Synoden-Projekts kam auch von ungewohnter Seite, vom LKA, in dem bis dahin Geist und Wille des NS-Staates zu Hause waren. Präsident Bührke, 1944 noch von Dr. Kinders Gnaden ins Amt gekommen (Kinder war Kurator der Universität Kiel geworden) hatte im Verlauf des Kriegsgeschehend erkannt und erkennen müssen, dass die Zeit der Ein-Mann-Kirche und des Führerprinzips ablief und 1945 endgültig abgelaufen war.

Vielleicht war er auch nie ein echter Vertreter dieses Systems gewesen, jedenfalls machte er sich zum Vorreiter einer Synode mit einem Aufruf im Juni 1945: nach dem Zusammenbruch der NS-Staates und seines Machtanspruchs auf die Kirche "ist es notwendig, dass die Kirche ihr altes verfassungsmäßiges Recht auf Bildung kirchenregimentlicher Organe wieder voll in Anspruch nimmt". Die Zeit drängt. Da Urwahlen noch nicht möglich sind, "müssen zunächst vorläufige Organe beschleunigt gebildet werden, vorläufige Propsteisynoden und eine vorläufige Gesamtsynode, die bis zum Zusammentritt einer ordentlichen Landessynode aufgrund des Vertrauens der Gemeinde handlungsfähig sind".

Aufgabe der vorläufigen Gesamtsynode soll es vor allem sein, eine vorläufige Kirchenregierung zu berufen und den verfassungsrechtlichen Weg zu einer späteren ordentlichen Landessynode zu ebnen. Bührkes Einsicht in die neue Zeit zeigt sich wohl auch darin, dass dieser Aufruf nicht allein vom Präsidenten unterschrieben ist, sondern von 11 Persönlichkeiten der Landeskirche "verschiedener Richtungszugehörigkeit", wie Bischof Halfmann 13 Jahre nach diesen Ereignissen schreibt. Zu den Unterzeichnern gehören neben Halfmann Propst Hasselmann, Missionsdirektor Dr. Pörksen, Landessuperintendent Matthiessen-Ratzeburg, Propst Siemonsen, Pastor Treplin, Vorsitzender des Bruderrats der BK, und die beiden nichtgeistlichen Unterzeichner Studienrat Brodersen-Flensburg und Graf Rantzau-Breitenburg/Pronstorf.