Adolf Thomsen (1901-1997)
Adolf Thomsen wurde in Rendsburg geboren, verbrachte seine Kindheit in Kappeln, besuchte das Gymnasium in Flensburg, studierte Theologie und wurde 1925 im Schleswiger Dom ordiniert. Aus seiner ersten Pfarrstelle in Blankenese wurde er 1934 mit 33 Jahren zum Rektor der Diakonissenanstalt in Flensburg berufen und blieb dies 36 Jahre lang bis 1970.
In der Zeit des Nationalsozialismus gelang es ihm, die Einrichtung vor der Gleichschaltung zu bewahren. Rektor Thomsen gehörte der Bekennenden Kirche an und wurde 1936 vom Bruderrat mit einem anderen Pastor zusammen für die Kirchenleitung vorgeschlagen. Da aber seitens der damaligen kirchenleitenden Organe nicht zugesichert wurde, dass eine auch mit Mitgliedern der Bekennenden Kirche besetzte Leitung bevollmächtigt würde, verzichtete Thomsen. Kurze Zeit später zeigte sich, dass sein Engagement an dieser Stelle vergeblich gewesen wäre. Bei Kriegsausbruch machte Thomsen seine pragmatische, aber entschiedene Haltung deutlich. Er schreibt an die Mitglieder der Bekennenden Kirche:
"Sie wissen, dass alle Abendveranstaltungen seit Kriegsbeginn sehr erschwert sind. Die Verdunkelungs-Schwierigkeiten im Saal, dann die Dunkelheit selbst, besonders für die Älteren unter uns und nun die Heizungsschwierigkeiten veranlassten uns, von Mitgliederversammlungen abzusehen. Sie haben trotzdem der Sache die Treue gehalten. Es hat zwar das Anliegen der Erneuerung unserer Kirche hinsichtlich ihrer Leitung und ihrer gesamten Ordnung zurücktreten müssen. Der Einfluss darauf ist uns z. Zt. so gut wie ganz genommen. Aber der Aufbau von unten muss weiter gehen. Wir haben ja nicht menschliche Wünsche, sondern Gottes Weisung für unsere Kirche ..."
Thomsen veranstaltete zusammen mit seinem Vorgänger D. Matthiesen in Flensburg die zweimal im Jahr stattfindenden lutherischen Konferenzen für Theologen und Laien sowie die Evangelischen Wochen in Flensburg als einem Vorläufer des DEKT.
Ein besonderes Ereignis war die Evangelische Woche 1936 zum 100-jährigen Jubiläum der Mutterhausdiakonie. Es wird berichtet: Morgens kamen 400 Teilnehmer, vormittags und nachmittags zu den Vorträgen über 600 und abends und zum Abschlussgottesdienst 1.000 Menschen. Das für die NSDAP besonders Provozierende war, dass auch Theologen der Bekennenden Kirche predigten, die schon bei Treffen in Flensburg am Entstehen des Altonaer Bekenntnisses und der Barmer Erklärung mitgewirkt hatten.
Zu Thomsens mutigen Entscheidungen gehörten das Festhalten an seinem Chefarzt Prof. Dr. Baum, der aus der jüdischen Familie Mendelssohn Bartholdy stammte, und - nach dessen plötzlichem Tod - die Berufung seines Nachfolgers Prof. Dr. Jüngling, der 1934 in Ungnade der Partei fiel und aus seiner Chefarztposition in Stuttgart entlassen wurde, weil er sowohl SA-Randalierer als auch Bolschewiken, die aneinander geraten waren, behandelt und sogar in gemeinsamen Räumen untergebracht hatte. Ebenso berief Thomsen eine Diakonisse mit jüdischer Abstammung in das Mutterhaus nach Flensburg zurück, ließ sie dort als Krankenschwester arbeiten und bewahrte sie so vor dem Abtransport in ein Vernichtungslager.
Bei Kriegsende formulierte Thomsen als wohl der erste eine Schulderklärung, führte schon 1946 die lutherischen Konferenzen fort und widmete sich dann voll dem Neuaufbau des Krankenhauses, der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in über 100 Gemeindepflegestationen. Zu den zusätzlichen Pflichten der ersten Stunde gehörten die Versorgung schwer verwundeter Flüchtlinge und entlassener Lagerinsassen. Er gehörte bis 1971 dem Landesgesundheitsbeirat an, war Mitglied der neuen Landessynode und der Generalsynode der VELKD und Mitglied im Vorstand des Diakonischen Werks. Er wurde mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und dem Kronenkreuz in Gold für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Schulderklärung Thomsens 1945:
"Das deutsche Reich, an dem 1000 Jahre gebaut haben, ist zerschlagen. Wir beugen uns unter das Gericht Gottes in der Erkenntnis, dass hier nicht nur ein politisches Ereignis vorliegt, dass die Stärkeren den Starken bezwungen haben, sondern dass unser Volk sich vor Gott schwer versündigt hat. Das deutsche Reich sollte gebaut werden ohne Christus und gegen Christus."
Auszug aus dem Jahresbericht 1947:
"Unserer engeren Schwesternschaft gehören an 317 Schwestern davon 292 Diakonissen und 25 Jungschwestern. Aus den Mutterhäusern des Ostens sind 33 Diakonissen als Gastschwestern bei uns. Im Feierabend sind 45 unserer Schwestern und 7 von den Gastschwestern. Außerdem zählen wir 96 Verbandsschwestern und 2 Johanniterinnen. In der Ausbildung befinden sich 152 Krankenpflegeschülerinnen und Vorschülerinnen. Ein Mutterhaus steht immer vor der Aufgabe, die Kraft der Schwestern in rechter Weise einzusetzen. Das ergibt eine fortwährende Spannung zwischen der Arbeit, die uns zufällt und den Kräften, die wir haben. Der fehlende Nachwuchs einer langen Reihe von Jahren legt den älter werdenden Diakonissen bei steigender Aufgabenfülle an manchen Stellen ein Reichliches an Arbeit auf. Es gelingt nicht immer, die Entlastung rechtzeitig zu beschaffen ..."
Auszug aus der Rede Bischof Petersens zur Verabschiedung von Thomsen am 3. 4. 1970:
"Die Führung dieses Hauses mit seinen Außenstationen in den Krankenhäusern unseres Landes und den Gemeindepflegestationen unserer Landeskirche erforderte in jenen Jahren (Zeit des Nationalsozialismus) nicht nur die Standhaftigkeit im Bekennen, sondern auch im Umgang mit den Behörden des Staates viel Geschick und Phantasie, um gegen alle übergreifenden Maßnahmen des Dritten Reiches die Eigenständigkeit in der Arbeit der evangelischen Diakonie zu bewahren. Dieser Aufgabe haben Sie sich, lieber Bruder Thomsen, während des ersten Jahrzehntes Ihrer Arbeit mit Umsicht und Geschick unterzogen.
Als das Dritte Reich zerbrach, standen wir nicht nur in unserer Kirche vor einem Neuanfang, sondern insbesondere in der Diakonie unserer Kirche vor ganz neuen Möglichkeiten und Aufgaben. Die Kirche, die sich in den Tagen Wicherns nicht mit vollem Herzen zu ihrer diakonischen Verpflichtung bekennen konnte, hat in den Tagen von Treysa im August 1945 - also fast ein Jahrhundert nach Wicherns denkwürdiger Rede vor dem Wittenberger Kirchentag am 22. September 1848 - das volle Ja zur Diakonie nachgeholt, das sie damals versäumt hat. In den nun hinter uns liegenden 25 Jahren ist das diakonische Handeln der Kirche und das diakonische Handeln der Inneren Mission und des mit ihr verbundenen Hilfswerks immer deutlicher als die Form kirchlicher Verkündigung sichtbar und hörbar geworden, die vielleicht viel zu lange in der Kirche ihr Dasein im Verborgenen gefristet hat. Dass diese Diakonie sich, wenn sie ihre Aufgabe richtig erfüllen will, ständig zu orientieren hat an ihrem Auftraggeber, dem Herrn der Kirche Jesus Christus, kann sie nicht oft und regelmäßig genug ins Gedächtnis zurückrufen. Tut sie es nicht, dann lebt sie in der Gefahr, ihre Eigenständigkeit zu verlieren, und wird humanitäre Betriebsamkeit ... Lieber Bruder Thomsen, in dieser Abschiedsstunde liegt es mir am Herzen, Ihnen für allen Dienst zu danken, den sie in diesem Hause und von diesem Hause aus für unsere Kirche getan haben."
Schlusspassage des Vortrags Thomsens zum 100-jährigen Jubiläum der Diakonissenanstalt 1974:
"Was Diakonie ist, weiß mancher nicht. Aber dass es mit Opfer für Hilfe zusammenhängt, wissen doch sehr viele. Auch dass es mit Gott und Jesus zusammenhängt. Ein kleiner Junge meldete seiner Mutter die Ankunft der Gemeindeschwester mit den Worten: 'Mutter, da kommt die Tante vom lieben Gott.' Das ist doch gar nicht so schlecht gesagt. Darin steckt die Identität dieses helfenden Dienstes mit dem reichen Gott. Tersteegen sagt dazu: 'Reich ist, wer viel hat. Reicher ist, wer wenig braucht. Am reichsten ist, wer viel gibt.' Die Hilfestellung einer Schwester, wo sie erfahren wird, lässt die Verbindung zu Gott leichter entstehen. Je persönlicher und wärmer der Dienst einer Schwester erfahren wird, desto mehr wird auch die Dankbarkeit für erfahrene Hilfe sich einstellen. Man darf alle, die im Dienst am Menschen, wo auch immer, verbunden sind, zu ihrem Beruf gratulieren. Er wird immer modern sein. Man darf ihnen Mut machen, ihren Beruf auch in der geistigen Bedeutung zu erkennen, dass Menschen bei ihnen zur Ruhe kommen. Zur Ruhe kommt ja, wer echter Liebe begegnet, die sich in Jesus offenbart. Unser Krankenhaus und seine Mitarbeiterschaft versuchen, Menschen zu heilen. Mit allen Mitteln und Methoden der modernen Medizin. Aber in Sicht bleibe dabei, dass nicht nur Organe und Funktionen geheilt werden. Wer diese Dimension erkennt, der kennt auch die Wahrheit des Bibelwortes: 'Es heilet sie weder Kraut noch Pflaster, sondern Dein Wort, welches alles heilet.' Gott hören in seinem Wort und mit Gott sprechen im Gebet, das bleibt immer modern."
Frank Schlicht
Biographisches Material, verteilt auf der Tagung am 3./4. Februar 2015 in Breklum "Die Bekennende Kirche in Schleswig-Holstein von 1933 bis 1945. Aufbruch und Neuorientierung der Landeskirche Schleswig-Holstein nach 1945".
Vgl. dazu auch:
Adolf Thomsen, Unser Ziel: Die lebendige Gemeinde, in: Peter Piening (Hrsg.), Im Strom oder daneben? Weckrufe zum Aufbruch der Kirche, Breklum: Missionsbuchhandlung 1935, S. 16-20.
Adolf Thomsen, Die Evangelische Woche in Flensburg. Oktober 1936, in: Wolfgang Prehn u.a. (Hrsg.), Zeit, den schmalen Weg zu gehen. Zeugen berichten vom Kirchenkampf in Schleswig-Holstein, Kiel: Lutherische Verlagsgesellschaft 1985, S. 93 f.