[1] Klaus Kasch im Vorwort zu Otto von Stockhausen, Bauern auf der Kanzel. Havetofter Erfahrungen 1943 bis 1945, Hamburg 1991, S. 5: "Das vorliegende Büchlein ist - nicht nur - für die vielen Freunde und Verehrer von Otto von Stockhausen kostbar und fast schon ein kleines Wunder. In all seinem Wirken war Otto von Stockhausen ein Mann der Begegnung, der freien Rede, des bewegenden Wortes. Doch schreiben mochte er nicht. In den Akten des Gemeindedienstes, den er ja mit gegründet hat und dessen erster Leiter er war, gibt es kaum Schriftstücke von ihm. Und veröffentlichen mochte er bisher auch nichts. Nun aber auf der letzten Strecke seines Weges meldet er sich - tatkräftig unterstützt von Otto Diehn - endlich doch noch schriftlich zu Wort: mit einer Urgeschichte der Volksmission. Er schildert, wie Christen in den schweren Jahren des zweiten Weltkriegs selber die Aufgabe der Verkündigung übernehmen. Das Volk Gottes nimmt teil an der Mission des Sohnes in die Welt, gibt sein Wort weiter an die Menschen, die es so dringend brauchen. Ich freue mich sehr, für den Verein der Freunde der Volksmission dieses Büchlein mit herausgeben zu können, in dem Otto von Stockhausen einen kleinen Teil seiner Lebensgeschichte und Wurzeln der Volksmission in Schleswig-Holstein beschreibt."
Otto von Stockhausen (1912-1992)
Als Otto von Stockhausen die Leitung des Landesjugendpfarramtes übernimmt, wird er bald in unserer Landeskirche bekannt wie kaum ein anderer Geistlicher. Er hat viele Ideen zum Neuaufbau der evangelischen Jugendarbeit. Das sorgfältige Planen liegt ihm nicht unbedingt. Aber er hat die große Gabe, Haupt- und Ehrenamtliche von seinen Vorstellungen zu überzeugen und für die Mitarbeit zu gewinnen.
Von Stockhausen wurde am 13. November 1912 in Hamburg geboren. An seinen Vater hatte er kaum persönliche Erinnerungen, da dieser schon in den ersten Wochen des 1. Weltkriegs gefallen, als sein einziger Sohn noch nicht einmal zwei Jahre alt war.
Den Vater kannte jeder Hamburger, seit ihm, dem 26-jährigen Ingenieur Otto Stockhausen, 1907 die Hauptverantwortung für den Bau des Elbtunnels übertragen worden war. Um die neue Aufgabe besser wahrnehmen zu können, hatte er eine Wohnung direkt neben der Baustelle bezogen. Hier lernte er Jugendliche aus dem nahen Gängeviertel kennen, die er zu Zeltlagern einlud. Seit 1902 hatte der Hamburger CVJM im Sommer zu solchen Lagern eingeladen. Sie fanden meist in der Nähe von Uetersen statt. Ihre Leitung lag auch während des Tunnelbaus in den Händen des ehrenamtlichen Mitarbeiters Stockhausen.
Der neue Elbtunnel wurde im Herbst 1911 eingeweiht, dem verantwortlichen Ingenieur der erbliche Adelstitel verliehen. Kurz darauf heiratete er mit gut 30 Jahren. Als ihm die Verantwortung für den Tunnelbau des übertragen worden war, hatten er und seine Braut entschieden, ihre schon länger geplante Hochzeit zu verschieben.
Die Eltern der Braut wohnten im sechs Kilometer entfernten Othmarschen. Dort leitete Pastor Rudolf Bahnsen seit 1906 ein Heim für Kinder, deren Eltern für einige norddeutsche Missionsgesellschaften in Übersee im Einsatz waren. Im früheren Kinderheim ist heute das Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkirche untergebracht. Schwiegervater Bahnsen stammte aus Nordschleswig. Er war dort von der weltoffenen Frömmigkeit der "Indre Mission" geprägt worden und nach fünfzehn Jahren Gemeindearbeit ab 1894 zwölf Jahre Missionsinspektor in Breklum.
Dem jungen Paar wurde bald ein Sohn geschenkt, der den Vornamen seines Vaters bekam. Nach dem Tod ihres Mannes kehrte die junge Witwe mit ihrem Kind zurück ins Elternhaus, arbeitete mit im Missionskinderheim. Der junge Otto erlebte früher als andere, wie persönliche Frömmigkeit und die Verantwortung für andere die innere Einstellung eines Christen formen.
Die häusliche Prägung wurde ergänzt durch Kontakte mit Gleichaltrigen in einem Schülerbibelkreis, der von dem acht Jahre älteren Wolfgang Prehn geleitet wurde, dem späteren Jugendpastor. Hier lernte er auch den gleichaltrigen Adolf Ruppelt kennen, den späteren Landespropsten, der dann Schwiegersohn des "PC" wurde - so nannte die Jugendlichen damals Pastor Georg Christiansen, der an der Paulus-Kirche in Altona ab 1923 tätig war und eine blühende Jugendarbeit aufgebaut hatte. Auch Christiansen stammte aus Nordschleswig und war nach der Abstimmung 1920 nach Schleswig-Holstein gekommen.
Nach Abitur und Studium war zunächst völlig offen, unter welchen Bedingungen v. Stockhausen ein Gemeindepfarramt würde übernehmen können. Im Frühsommer 1935 war es zu einem heftigen Konflikt im Predigerseminar Preetz zwischen der DC-orientierten Seminarleitung und den Vikaren gekommen. Der Streit endete vorläufig damit, dass ein großer Teil der Vikare das Seminar verlassen musste. Kurz darauf tagte die erste Bekenntnissynode in Kiel (17. Juli 1935). Sie beschloss, in Absprache mit der "Vorläufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche" (Bekennende Kirche, BK) Ausbildung, Prüfung und Ordination der Ausgeschiedenen selbst in die Hand zu nehmen. Die Verantwortung für diese Aufgabe lag vor allem bei dem Flensburger BK-Pastor Wilhelm Halfmann, der deshalb Februar 1936 als kommissarischer Oberkonsistorialrat ins Landeskirchenamt berufen worden war.
Ende September 1936 legte v. Stockhausen sein 1. Theologisches Examen bei der BK-Prüfungskommission ab. Während er in den folgenden Monaten als Vikar in einer Gemeinde Erfahrungen sammelte, wurde Wilhelm Halfmann als Oberkonsistorialrat wieder entlassen. Wer sollte nun künftig die BK-Vikare prüfen und ordinieren? Neben v. Stockhausen waren einundzwanzig weitere Kandidaten betroffen. Die Prüfung übernahm nach Absprache mit der "Vorläufigen Leitung" die Bayerische Landeskirche (Sept. 1938). Ordiniert wurden die jungen Geistlichen dann vom lauenburgischen Landessuperintendenten Johannes Lange in Ratzeburg (6. Nov. 1938).
Die Gemeindearbeit begann für den Hilfsgeistlichen v. Stockhausen am 15. November 1938 an der Christians-Kirche in Altona. Zum 1. Januar 1940 übernahm er mit siebenundzwanzig Jahren die Pfarrstelle in Havetoft. Die Gemeinde war weit über Angeln hinaus durch das Waisenhaus "Elisabethheim" bekannt geworden, das die Gemeinschaftsbewegung unter Pastor Johannes Witt nach 1888 hier weitgehend aus Spendenmittel errichtet hatte.
Von Stockhausen blieb in diesen aufregenden Jahren auch der BK-Schülerarbeit treu, auch wenn sie so nicht bezeichnet werden durfte. Bei den Himmelfahrtstreffen am Bistensee, die bis Mai 1939 stattfinden konnten, war er immer wieder um Redebeiträge gebeten worden. Und in Havetoft dürfen ihn Jugendliche zu "Ostertreffen" besuchen, wenn er nicht kriegsbedingt abwesend war.
Nach Kriegsende konnte sich v. Stockhausen wieder ganz der Gemeindearbeit widmen. Schon bald erreichte ihn Ende August 1945 die Bitte Wolfgang Prehns, er möge nach Flensburg kommen, um mit anderen über den Neuaufbau der evangelische Jugendarbeit zu beraten.
Ich erinnere aus Gesprächen mit Wolfgang Prehn, dass bei dieser ersten Beratung noch nicht entschieden wurde, wer der neue Landesjugendpastor werden solle. Von Stockhausen wollte gern in der Havetofter Gemeinde bleiben. Am Ende wurde ein Kompromiss gefunden: Von Stockhausen konnte Gemeindepastor bleiben und sollte im Nebenamt die Aufgabe des Landesjugendpastors wahrnehmen.
Die Doppelbelastung war nach dreieinhalb Jahren nicht mehr zu verantworten. Da erwartet wurde, dass der Koppelsberg, der schon 1948 der evangelischen Jugendarbeit vermacht worden war, in absehbarer Zeit frei werden würde, musste 1949 eine Übergangslösung gefunden werden. Für eineinhalb Jahre konnten Ehepaar v. Stockhausen und das Büro des Landesjugendpfarramtes im Waldheim am Brahmsee unterkommen. Ab Dezember 1950 mussten für ein weiteres Vierteljahr als Zwischenlösung sehr beengte Räume in Kiel (Fleethörn 61) ausreichen. Dann endlich im März 1951 konnte das Landesjugendpfarramt zum Koppelsberg umziehen, zunächst in die frühere Gastwirtschaft "Hinterste Wache", dann ab Oktober in das Haupthaus auf dem "Berg". Eine neue Phase der evangelischen Jugendarbeit begann.
Uwe Tams, langjähriges Mitglied der Nordelbischen Kirchenleitung erzählt, wie in seiner Jugend Otto von Stockhausen und andere Pastoren der BK seinen Glauben geprägt haben:
"Ich bin Uwe Tams aus Kiel, Jahrgang 1930, geboren in Havetoft in Angeln und aufgewachsen in Flensburg. Fünf Wochen vor Kriegsende wurde ich konfirmiert. Als Konfirmand hatte ich vom Unterschied der BK und der DC noch nichts gehört und auch nichts von der Vernichtungspolitik der NS. Ich wuchs in einem Elternhaus lutherisch-pietistischer Prägung auf, das seit zwei Generationen von der Breklumer Mission geprägt war. Während der NS-Zeit war bei uns der sonntägliche Gottesdienst selbstverständlich, zu dem ich als Begleiter meines Vaters mitging, obwohl ich Pimpf war, während meine Alterskameraden zur gleichen Zeit in Uniform zur Jugendfilmstunde gingen. Mein Vater, ein frommer lutherischer Pietist, hatte uns von Pastor Kähler an der Nikolaikirche umgemeinden lassen, da mein älterer Bruder von ihm 1937 konfirmiert wurde und in der Konfirmation kein Glaubensbekenntnis gesprochen wurde. Wir besuchten Gottesdienste bei Pastor Stäcker in St. Jürgen und Pastor Kardel in Adelby, Pastor Prehn in St. Petri und auch Pastor Adolf Thomsen in der Diakonissenanstalt - alles Pastoren der BK, die das Evangelium, wie es in der Heiligen Schrift stand verkündigten. So hörte ich es, ohne zunächst zu verstehen, wo Unterschiede im Bekenntnis bestanden.
Bei meinen Großeltern in Havetoft stand während der NS-Zeit im Wohnzimmer ein kleiner Tisch mit christlichen Büchern aus Breklum zum Verkauf, einige auch unter ihren Betten im Schlafzimmer, um sie vor dem Zugriff der Nazis zu sichern.
In Havetoft war seit Kriegsbeginn Otto von Stockhausen Gemeindepastor. Am selben Tag, als er seine pastorale Berufung empfing, bekam er auch seine Einberufung zur Wehrmacht. Als er an die Front versetzt werden sollte, verpflichtete er seine Kirchenvorstandsmitglieder, jeden Sonntag den Gottesdienst zu halten. 'Nä, Herr Paster, dat kön? wi nich!' 'Doch, sagte er, ich schicke Euch, von der Front eine Predigt, die Ihr dann abwechselnd vorlesen könnt.' So geschah es tatsächlich bis zum Ende des Krieges. Sein Büchlein mit dem Titel Bauern auf der Kanzel, beschreibt dies eindrücklich.[1] Während dessen vertrat seine Ehefrau, Elisabeth von Stockhausen geb. Chalybaeus, ihn in den Gemeindegruppen und besonders in der Jugendarbeit. Trotz schwierigen Verhörs der Gestapo am 22. März 1943 setzte sie furchtlos durch, dass die lebendige Jugendarbeit nicht zunichte wurde. Was für eine Treue zum Bekenntnis aller Genannten schon während des Dritten Reiches!
An der Treue zu Bekenntnis gab es nach 1945 natürlich keinen Zweifel. Nun erlebte ich es selbst und kann es bezeugen. Nach dem Krieg wurde Otto von Stockhausen Landesjugendpastor auf dem Koppelsberg. In diesen Jahren bekam ich Kontakt zur Evangelischen Jugend und dem EC. Da erlebte ich Alfred Korthals und Alfred Mosch ('Amo') in Flensburg, die Jugendliche aus allen Teilen der Stadt sammelten, um sie unpolitisch in das Evangelium der Bibel einzuführen, so wie es in der Heiligen Schrift und den Bekenntnisschriften überliefert ist.
Mit was für einem außerordentlichen Geschick vermochte Otto von Stockhausen uns diese Botschaft des Evangeliums lebendig und aktuell zu machen. Er riss uns buchstäblich vom Hocker - ob auf den Freizeiten auf dem Koppelsberg oder dem Landesjugendtreffen am Himmelfahrtstag und in zentral gelegenen Orten - Rendsburg, Kiel, Bistensee u.a. vor Hunderten. Aber auch im Zweiergespräch und in der persönlichen Seelsorge. Hier erlebten wir alle, die wir dem Deutschen Jungvolk oder der Hitlerjugend angehört hatten, die Christus-Botschaft, wie sie im Alten und Neuen Testament und in den Bekenntnisschriften der Reformation bezeugt ist. Und dies unabhängig von zeitlich bedingten Weltanschauungen. Für viele war das völlig neu und für andere eine Bestätigung der elterlichen Erziehung und der Pastoren der BK. Wie viele dieser von Otto von Stockhausen angesprochenen Jugendlichen sind Pastoren geworden! Auch auf Missionsfesten, auf denen Martin Pörksen sprach, erlebten wir dies Bekenntnis aus seiner Erfahrung der Mission sehr lebendig und mit weiter Perspektive länderübergreifend.
Ein weiteres bedeutendes Beispiel für das Bekenntnis, das ich erlebt habe, war die Evangelische Woche 1948 in der St. Marienkirche in Flensburg mit dem Leitwort: 'Komm, Schöpfer Geist!' Initiator war Propst Karl Hasselmann, der ursprünglich zum Verfasserkreis des Altonaer Bekenntnis gehörte, danach Anpassungsbereitschaft an die DC zeigte und ihnen beitrat, aber noch während der NS-Zeit zu den Bekenntnisschriften zurückgekehrt war. Eröffnet wurde die Evangelische Woche mit dem Wort aus 1. Joh. 5: 'Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat', auch die Welt in der Kirche mit ihrer Sünde und Schuld.
Zu den Vorträgen dieser Woche, zu denen wir als Schüler auch Schulbefreiung erlangen konnten, ging es u.a. um die Botschaft vom Anfang von Professor Hans Wilhelm Hertzberg, das Wort zur Lage von Hans Asmussen, Vergessen - Sühnen - Beichten von Bischof Halfmann und den Frieden Gottes im Streit der Welt von Bischof Schöffel. Was habe ich persönlich als suchender Schüler von dieser Woche empfangen dürfen! Was für eine Gemeinschaft im Bekenntnis zur Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testamentes und des Reformatorischen Bekenntnisses!
Wissenschaftliche Beweise hatte und verlangte ich nicht. Aber ich wurde gestärkt von Menschen im Sinne von 'Ich bin gewiss!' Seitdem bin ich überzeugter und entschiedener Christ."
Johannes Jürgensen/ Uwe Tams
Aus: Vorläufige Materialsammlung zur Vorbereitung auf die Tagung am 3./4. Februar 2015 in Breklum "Die Bekennende Kirche in Schleswig-Holstein von 1933 bis 1945. Aufbruch und Neuorientierung der Landeskirche Schleswig-Holstein nach 1945", erbeten - verfasst - zusammengestellt von Jens-Hinrich Pörksen; jetzt in: Karl Ludwig Kohlwage, Manfred Kamper, Jens-Hinrich Pörksen (Hrsg.): "Was vor Gott recht ist". Kirchenkampf und theologische Grundlegung für den Neuanfang der Kirche in Schleswig-Holstein nach 1945. Dokumentation einer Tagung in Breklum 2015. Zusammengestellt und bearbeitet von Rudolf Hinz und Simeon Schildt in Zusammenarbeit mit Peter Godzik, Johannes Jürgensen und Kurt Triebel, Husum: Matthiesen Verlag 2015, S. 212 ff.
Veröffentlichungen von Otto v. Stockhausen:
Geborgenheit mitten in der Angst. Predigt über Psalm 138, in: Amt für Volksmission und Gemeindeaufbau der Evangelischen Landeskirche in Baden (Hrsg.), Gott gibt Gorgenheit. Eine Besinnung über die Erfüllung göttlicher Verheißung und menschlicher Sehnsucht, Lahr: St.-Johannis-Druckerei 1974, S. 5-12.