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Carl Matthiesen (1866-1947)

Nach Absolvierung des Gymnasiums in seiner Heimatstadt Hadersleben begann Matthiesen 1883 das Studium der Theologie, mit besonderem Interesse auch für Geschichte, in Leipzig und setzte es in Erlangen und Kiel fort. Die Theologische Abschlußprüfung machte er 1889, danach besuchte er das nordschleswigsche Predigerseminar, das von Propst Valentiner geleitet wurde. Wahrend der ersten dreijährigen Amtszeit in Hügum lernte er P. Wacker kennen und schloß sich der von diesem gegründeten Flensburger lutherischen Konferenz an. Von 1893 bis 1903 war er als Pastor in Sonderburg, von 1903 bis 1910 als Pastor in Rödding tatig. Von den beiden zuletzt genannten Orten aus hatte Matthiesen Beziehungen zur Flensburger Diakonissenanstalt, wohin er 1910 als Nachfolger Wackers ging und wo ihm in entscheidenden Jahren Hanny Funcke, die Tochter des bekannten Pastors Otto Funcke, als Oberin zur Seite stand.

Während seiner in Flensburg verbrachten 24-jährigen Amtszeit als Pastor und Rektor der Diakonissenanstalt und auch noch während der dann folgenden 12 Jahre im Ruhestand bis zu seinem Tode war Matthiesen einer der angesehensten Geistlichen der Landeskirche. Sein Wort galt diesseits und jenseits der Grenze im Norden nicht nur bei seinen Diakonissen, sondern auch in Gemeinden und auf Synoden. 1930 ernannte ihn die Theologische Fakultät in Kiel zu ihrem Ehrendoktor.

In der Zeit des Kirchenkampfes (nach 1933) sahen viele junge Pastoren und Studenten in Matthiesen ihren geistlichen Vater und Berater, dessen wegweisende Kraft vor allem in seiner von der Erweckungsbewegung in Nordschleswig geprägten Predigt lag, von der Matthiesen selbst einmal sagte: "Wenn ich ein einzelnes Wort nennen sollte, vielmehr eine Sache, die mit einem Wort bezeichnen konnte, was der Grundklang meiner Predigt durch 44 Jahre meiner Amtstätigkeit gewesen ist, so ist es der Gnadenstand gewesen."

Veröffentlichungen: Außer vielen geistlichen Betrachtungen, vor allem im Correspondenzblatt der Flensburger Diakonissenanstalt und im "Breklumer Sonntagsblatt fürs Haus", erschienen:

  • Die persönliche Bekehrung als Predigt der Kirche, in: Rechtgläubigkeit und Frömmigkeit, Bd 1, Furche-Verlag Berlin 1938, S. 21-59, hrsg. v. H. Asmussen.
  • Die Ev.-luth. Diakonissenanstalt Flensburg, Bd 1: 1874-1924; Bd 2: 1924-1934, Flensburg 1939.
  • Aus meinem Leben, Reich und Heidrich, Ev. Verlag, Hamburg 1948.

Johann Schmidt (BL-SHL 3, 187 f.)

1925 lehnt Matthiesen eine Wahl zum Bischof von Schleswig ab. 1930 erhält er die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät Kiel, weil er "eine gründliche theologische Bildung in den Dienst vieler, namenlich jüngerer Theologen gestellt und dadurch den Geist der von ihm geleiteten Anstalt das religiöse Leben Schleswigs stark beeinflusst hat".

Er leitet die Lutherischen Konferenzen und greift brisante Themen auf wie z. B. 1932 "Die Kirche und die staatliche Ordnung" oder 1934 "Inwieweit ist außerhalb des Christentums eine Offen­barung anzuerkennen und welche Bedeutung kommt ihr zu?" Als der spätere Landesbischof Hanns Lilje 1941 bei einer weiteren Konferenz in Flensburg 1941 von der NSDAP an seinem Vortrag über das "Evangelische Geschichtsdenken" gehindert und verhaftet wird, übernimmt Matthiesen das Konzept und trägt es vor.

Er ist vor 1933 Synodaler. Als einziger protestiert er auf der "braunen Synode" 1933 gegen das "rückhaltlose Eintreten für den Staat" und wird daraufhin gezwungen, aus der Kirchenregierung und Synode auszuscheiden.

Als Spiritus Rector, Seelsorger und Prediger prägt er die Diakonissen, die in ganz Schleswig-Holstein an über 100 Einsatzorten in Krankenhäusern oder in der Gemeindekrankenpflege tätig waren.

Als sein Nachfolger 1944 in den Krieg musste, bewahrt er durch seine Reaktivierung die Diakonissenanstalt vor der Gleichschaltung und sorgt für eine Fortsetzung der geistlich fundierten Krankenpflege und der theologischen Arbeit gleich nach dem Kriege in der Landeskirche.

Auszug aus Matthiesens Rede vor der "Braunen Synode" 1933:

"... Es kann überhaupt nicht angehen, in dem Umfang, wie dies Gesetz es tut, das Ethos des Staates einfach für die Kirche verbindlich zu erklären. Die Kirche kann ihr Ethos nur aus Schrift und Bekenntnis, das heißt vom Heiligen Geist nehmen, aber nicht anderswoher. Ich muss doch zu bedenken geben, ob wirklich eine solche Gleichschaltung zwischen Kirche und Staat im Sinne unserer Verfassung, unseres Bekenntnisses und im Sinne des Evangeliums verantwortet werden kann."

Auszug der letzten Rede Matthiesens vor Diakonissen vom 1.1.1947

"Flensburg selbst hat nicht viel aus Pastor Wackers Stimme (Vorgänger von Matthiesen) gehört. Er sagte einmal: 'Geistliches Leben in Flensburg fließt wie ein kleines, schales, dünnes Wässer­lein.' Die maßgebenden Menschen hier haben es wenig beachtet. Gewiss, ja, die Diakonissenanstalt war da, aber was dahinterstand, von Gottes Willen und Gottes Geist, das berührte sie nicht. Wenn ich einige Namen nennen soll, die mitten im kirchlichen Leben standen und mit der Geschichte unseres Hauses sehr verbunden sind, so sind es diese: Dr. Mahler, der später nach Breklum ging, der liebe alte Gasinspektor Madsen, der viel getan hat, um gläubige Leute in seinem Betrieb zu sammeln, dann Markus und Hans Knuth.

Pastor Wacker hat auch eine treue, wackere Lehrerschaft um sich gesammelt, Asmussen, Carstensen, Jakobsen u.a.m. Diese Kreise haben geworben für das Evangelium und mit dem Evangelium. Es sind starke Kreise und Lehrerversammlungen hier in Flensburg gewesen.

Darum: 'Hüte dich, dass du nicht vergessest der Geschichten ...' Dann hat Pastor Wacker die lutherische Konferenz gesammelt. Ich bin mit 27 Jahren dazu gerufen worden, und darüber sind nun die vielen Jahre vergangen, und die Konferenz lebt noch und wenn sie das bleibt, was sie war, wird sie weiterhin bestehen bleiben und nicht vergeblich sein. Ich bin hierhergekommen aus einem Kerngebiet Nordschleswigs, wo Tausende von Menschen zum Glauben kamen. Aber wer in Flensburg hat davon etwas gesehen und gehört? 'Hüte dich nur und bewahre deine Seele, dass du nicht vergissest der Geschichten, die deine Augen gesehen haben!' Aber es ist nicht geschafft damit, dass man so von ferne her berührt worden ist von dem Kreis der zu Christus rief und sammelte. Es kommt darauf an, dass der Herr sein Herren-Recht bekommt in unsern Herzen und Häusern, und dass die Jugend merkt, dass man nicht spielen kann mit dem Wort und der Liebe Gottes."

Auszug aus der Ansprache Bischof Halfmanns bei der Trauerfeier für Matthiesen 1947:

"... Ich will von dem sprechen, was über den Rahmen seiner Anstaltstätigkeit hinausreicht, wobei freilich anzumerken ist, dass man das Drinnen und das Draußen nicht scharf scheiden kann, denn eine Evangelische Diakonissenanstalt ist kein Kloster; was in ihr gepredigt und organisiert, gebetet und gearbeitet wird, greift in seiner Wirkung über die Anstaltsmauern hinaus ins Leben der ganzen Landeskirche ein. Aber es sind von unserem teuren Toten doch eben einige Arbeiten getan worden ist dem ausgesprochenen Ziel, außerhalb der Anstalt zu wirken. Das war einmal die lutherische Konferenz, die in jedem Frühjahr und Herbst eine größere Anzahl von Pastoren der Landeskirche und auch Laien zu ernsthafter theologischer Arbeit in der Diakonissenanstalt vereinigte, D. Carl Matthiesen führte dabei den Vorsitz, hielt zahlreiche Vorträge und Predigten und beteiligte sich bis zur letzten Konferenz im Oktober 1946 auf's lebhafteste an den Diskussionen. Er war so durch dreieinhalb Jahrzehnte ein Lehrer in unserer Kirche und als Lehrer oft auch ein Kämpfer, der das scharf geschliffene Schwert seines Geistes wohl zu schwingen wusste. Wie vielen jüngeren Theologen hat er den Geist rechter lutherischer Theologie vermittelt! - Aber nicht nur die Lehre, sondern auch die lebendige Verkündigung im Lande ringsum lag ihm am Herzen. Das Werk der Evangelisation, das er in Nordschleswig mit so großem Segen betrieben hatte, wollte er auch in seinem Flensburger Amt nicht lassen. Er widmete darum seine Kräfte dem 'Verein für Evangelisation', der seine Boten in die Gemeinden als Träger einer lebendigen volksmissionarischen Verkündigung entsandte. - Über alledem bewegte ihn der Weg der Landeskirche als ganzer; und so ließ er sich als Mitglied in die Landessynode berufen, aus der er auch zum Mitglied der Kirchenregierung gewählt wurde. Das war in den Jahren vor dem Dritten Reich. Auch er konnte es nicht hindern, dass die Kirche in die staatliche Umwälzung mit hineingerissen wurde und er selber mit der damaligen Kirchenregierung zum Rücktritt gezwungen wurde. Er wusste, wo dann sein Platz war, und hat der Bekennenden Kirche gedient als treuer Wächter über Bibel und Bekenntnis."

Frank Schlicht

Biographisches Material, verteilt auf der Tagung am 3./4. Februar 2015 in Breklum "Die Bekennende Kirche in Schleswig-Holstein von 1933 bis 1945. Aufbruch und Neuorientierung der Landeskirche Schleswig-Holstein nach 1945".