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Johannes Diederichsen

Johannes Diederichsen: 1932-1957: Aus dem Leben der Mürwiker Gemeinde in 25 Jahren, Typoskript aus dem Jahr 1957.

Johannes Diederichsen (1911-2002)

Ich selber entstamme einer Bauernfamilie in Angeln, die von einem Luthertum in pietistischer Gestalt geprägt war. Kirchliche Bindung war in unserer Familie selbstverständlich. Mein Vater hatte sich aus einem national denkenden Deutschen, der mit allen andern auf den baldigen deutschen Sieg hoffte, im Laufe der Kriegsjahre 1914 bis 1918 zu einem christlichen Pazifisten entwickelt, der jedem übersteigerten Nationalismus kritisch gegenüberstand. Gewählt wurde in meinem Elternhause der Christlich-Soziale Volksdienst, dem auch ich bei den ersten Wahlen, an denen ich teilnehmen konnte, meine Stimme gab. So war es für mich nichts Besonderes, daß ich die nationalsozialistische Bewegung von Anbeginn verabscheute, und ihr bis zum Schluß auch nicht in einer Sekunde einen Funken Sympathie habe abgewinnen können.

Dabei war ich schon als Schüler außerordentlich politisch interessiert und las alles, was ich in die Hand bekommen konnte. Der Beginn meines Studiums in Kiel im Sommersemester 1931 gab mir dann die Gelegenheit, Zeitungen aller politischen Richtungen zu lesen, auch die der Kommunisten und der NSDAP. Im Wintersemester besuchte ich Versammlungen aller politischen Parteien und hörte unter anderem den zum Kommunismus bekehrenden Pfarrer Eckert. Mein schon vorhandener Abscheu vor den radikalen Parteien auf der rechten und linken Seite wurde in dieser Zeit verstärkt.

Drei Bonner Semester in den Jahren 1933 und 1934 taten ein Übriges, meine Distanz zu der auch an den Universitäten allmählich sich durchsetzenden NS-Bewegung weiter zu vertiefen. Die Deutsche Christliche Studentenvereinigung, zu der ich schon seit den Kieler Semestern gehörte, wurde in Bonn Sammelpunkt derjenigen Studenten, die sich um "Schrift und Bekenntnis" in der Auseinandersetzung mit den aufkommenden Deutschen Christen sammelten.

Akuter Anlaß zu den ersten öffentlichen Auseinandersetzungen war die von Hitler angekündigte "Kirchenwahl". Die BK-Gruppe der Studenten, die sich weithin mit den Mitgliedern der DCSV mit ihrem Heim in der Weberstraße in Bonn deckte, formierte sich aus diesem Anlaß in Gruppen zu zweien, um das ganze Rheinland mit ihren verzweigten evangelischen Kirchengemeinden aufzusuchen mit dem Ziel, die Pastoren zum Aufstellen einer Gegenliste gegen die Liste der Deutschen Christen zu ermuntern. Ich selber war mit einem Kommilitonen zwei Tage am Rhein zwischen Bonn und Koblenz unterwegs, mit dem Erfolg, daß es uns nur in einer Gemeinde von etwa einem Dutzend anderer gelang, einen Erfolg zu verbuchen. Durch die Bank waren die Pastoren so eingeschüchtert, daß sie eine Auflehnung gegen die örtlichen Instanzen der NSDAP nicht wagten. In Remagen wurde uns beispielsweise mit Verhaftung gedroht.

Mit dem Wintersemester 1933/34 setzte eine verstärkte Repression des NS-Regimes und seiner Repräsentanten auch in Bonn ein, einer Universität, in der sich oppositionelle politische Kräfte noch relativ lange gehalten hatten, während an den meisten anderen Universitäten die "Gleichschaltung" bereits erfolgt war. Ein kleinerer Teil der Studenten, die sich dem Befehl, unter Androhung der Relegation der SA anzuschließen, widersetzten, schloß sich nunmehr dem Studentenverband des Stahlhelm an, der damit in Bonn zum letzten Zufluchtsort vieler "Barthschüler" wurde, zu denen auch ich mich rechnete - ein interessanter politischer Vorgang, der heute kaum noch vorstellbar ist. Erst im Frühjahr 1934 - kurz vor der Röhmrevolte - war es mit diesem politischen Refugium zu Ende, weil nun auch in Bonn die Überführung der Verbände des Stahlhelm in die der NS-Bewegung erfolgte. Für mich persönlich hatten die drei Bonner Semester die Bedeutung, daß sie mich auf meinem Weg in die Bekennende Kirche noch gewisser machten. Dazu hatte nicht wenig die Bruderschaft vieler Gleichgesinnter in der erwähnten Studentengruppe in Bonn beigetragen, in der damals Hans Walter Wolff einen der führenden Köpfe darstellte.

So war es für mich selbstverständlich, daß ich mich im Sommersemester 1935 in Kiel der dort bestehenden Studentengruppe der BK anschloß, die sich wiederum weithin personell mit den Mitgliedern der DCSV deckte. Obmann dieser BK-Studenten war Johann Schmidt, der in den folgenden Jahren mit einem unglaublichen Einsatz von Zeit und Kraft, in den vielen schwierigen Entscheidungen dieser Zeit unser Sprecher wurde.

Als theologische Lehrer haben uns in jener Zeit zwei Professoren besonders viel bedeutet - der Neutestamentler Julius Schniewind, der damals von Königsberg nach Kiel zwangsversetzt war, und der Kirchengeschichtler Kurt Dietrich Schmidt. Das wissenschaftliche Format dieser beiden Professoren, aber auch ihre persönliche Integrität und ihr wagemutiger Einsatz gegen den geltenden Zeitgeist, machte sie uns nicht nur zu verehrten theologischen Lehrern, sondern darüber hinaus zu Vorbildern, wenn nicht gar zu "Vätern im Glauben".

Neben ihnen standen die vielen Theologen einer älteren Generation, die uns Studenten und später Vikaren in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen in unserer Heimatkirche im Zusammenhang mit dem 1. und 2. Examen und der Ordinationsfrage Berater und Helfer waren. In erster Linie nenne ich die Mitglieder des Bruderrats, aber darüber hinaus nicht wenige Pastoren unserer Landeskirche, zu denen wir als Vorbilder aufsahen -, sie alle werden in den verschiedensten Beiträgen dieser Veröffentlichung öfter erwähnt. Genannt werden muß aber in erster Linie Pastor Wilhelm Halfmann - später Oberkirchenrat, Präses und Bischof -, dessen Wort für uns jüngere insbesondere geistliche Autorität besaß. ...

Wenn man sich die einzelnen Thesen der Theologischen Erklärung der Barmer Bekenntnissynode vom 31. Mai 1934 ansieht - ich selber habe mit der Studentengruppe der Bonner Bekennenden Kirche unter Leitung von Professor Ernst Wolf an der Schlußveranstaltung teilgenommen -, so erkennt man, daß bereits in dieser Erklärung jener Dissens angelegt ist, der nach dem Krieg zu zwei ganz verschiedenen Positionen der BK geführt hat, die durch die Namen von Martin Niemöller und Hans Asmussen bezeichnet sind. Sowohl der reformierte Gedanke der Königsherrschaft Jesu Christi wie auch die lutherische Lehre von den Zwei Reichen Gottes hier in der Welt stehen hinter den Thesen dieser Erklärung. Und das ist kein Zufall, wenn man sich daran erinnert, daß sowohl Karl Barth wie auch Hans Asmussen zu den Verfassern beziehungsweise geistigen Vätern dieser Erklärung gehören.

Kein Wunder, daß der Weg der Bekennenden Kirche im Kirchenkampf der dreißiger Jahre kein einheitlicher und gradliniger gewesen ist. Daß der Gedanke eines politischen Widerstandes, der heute vor allen Dingen im Vordergrund steht, gerade in den ersten Jahren des Dritten Reiches auch in Kreisen der BK außerhalb der Diskussion lag, braucht keinen zu wundern, der die Lage damals aus eigener Erfahrung kennengelernt hat.

Bekanntlich gab es die beiden Gruppen der "zerstörten" und der "intakten" Kirchen. Zu den letzteren gehörten zuletzt nur noch Hannover, Bayern und Württemberg, in denen die Träger des "Kirchenregiments" (Bischöfe, Kirchenleitung, Finanzverwaltung) im Wesentlichen noch in der Hand der Personen waren, die auf Grund der geltenden kirchlichen Gesetze und Ordnungen ins Amt gekommen waren, während die "zerstörten Kirchen" durch Staatskommissare und von dem NS-Staat bestallte Bischöfe und sonstige Führungskräfte geleitet wurden. Ob die Tatsache, daß die reformierten Landeskirchen sowie die der Altpreußischen Union in der Regel zu den "zerstörten" gehörten, während sich einige lutherische Landeskirchen bis zum Kriegsschluß vor den staatlichen Eingriffen bewahren konnten, auf das Lutherische Bekenntnis zurückgeführt werden kann, das etwa eher zu Kompromissen mit dem Staat auf Grund der Zwei-Reiche-Lehre Luthers bereit sei, soll hier nicht näher untersucht werden.

Tatsache ist jedenfalls, daß die vielen existentiellen Diskussionen, die den Weg gerade der Studenten und Vikare begleiteten, auf dem Hintergrund dieser Auseinandersetzungen zu sehen sind. "Wir wissen nicht, was wir tun sollen, aber unsere Augen sehen nach dir!" (2. Chr. 20,12). Das spiegelt sich wider in den vielen Briefen, die zwischen den Mitgliedern der BK-Gruppen der Studenten und Vikare gewechselt wurden oder auch zwischen ihnen und den Vorsitzenden des Bruderrats in Schleswig-Holstein, Pastor Reinhard Wester und später Pastor Johannes Tramsen, sowie den Beauftragten für die Studenten und Vikare, Pastor Erich Rönnau, Gettorf, und Pastor Wilhelm Knuth, Düneberg.

Es ging in all diesen Fragen nicht um einen Widerstand gegen den Staat und seine Organe, sondern um die Frage des Protestes und des Widerstandes gegen einen unerlaubten Eingriff staatlicher Organe in den inneren Bereich der Kirche, und zwar nicht nur ihrer Organisationsform, sondern auch ihrer geistlichen Leitung. ...

Es ist ein Kompromiß gefunden worden in der Frage der Examina wie auch der Ordination, der allerdings erst nach langwierigen Verhandlungen und vielen Diskussionen auch unter den Betroffenen zustande gekommen ist. In diesem Zusammenhang sind die verschiedenen Examina vor dem Landeskirchenamt in München zu nennen, deren Vorgeschichte teilweise durchaus als eine Zerreißprobe unter der Bruderschaft der Kandidaten und Vikare anzusehen ist. Auch die Ordination zweier Examensjahrgänge am 6. November 1938 in Ratzeburg durch den Landessuperintendenten D. Johannes Lange gehört in diesen Zusammenhang.

Die provisorische Beschäftigung der in München examinierten Kandidaten in Kirchengemeinden der Landeskirche bei einer Vergütung von 50 Reichsmark im Monat aus dem Spendenaufkommen der BK-Pastoren war begleitet von manchen Fragen und viel Ungeduld - wie sie vor allem aus dem Briefwechsel der einzelnen Betroffenen mit Johannes Tramsen und Wilhelm Knuth hervorgeht. In jenen Monaten entstand als eine Mischung von Galgenhumor und zugleich Trost die Zitierung: Lukas 21, Vers 19 - zu jener Zeit oft gehört und gebraucht. Dort steht bekanntlich "Fasset eure Seelen in Geduld". ...

Diederichsen, Johannes, geb. am 18. Juni 1911 in Lutzhöft/Angeln, Studium der Theologie in Rostock, Bethel, Bonn und Kiel. Von 1940 bis 1945 Kriegsteil­nehmer, von 1945 bis 1964 Pastor in Flensburg-Mürwik, von 1964 bis 1977 Propst in Rendsburg, seitdem im Ruhestand in Flensburg (bis zu seinem Tod am 9. Oktober 2002).

Auszüge aus: Johannes Diederichsen, Jahre der Entscheidung, abgedruckt in: Wolfgang Prehn (Hg.), Zeit, den schmalen Weg zu gehen. Zeugen berichten vom Kirchenkampf in Schleswig-Holstein, Kiel: Luth. Verlagsgesellschaft 1985, S. 209-225, hier: S. 214-220.