[1] In den direkten Umkreis des BDO gehörten nicht nur Friedrich-Wilhelm Krummacher, Vincenz Müller oder Mischa Wolf, sondern auch viele der alten kaisertreuen Offiziersfamilien in Potsdam, die es in der nachfolgenden DDR offiziell gar nicht geben durfte.
[2] Zuletzt Kommandeur der 3. Infanterie-Division (mot.); kapitulierte am 28. Januar 1943 in Stalingrad.
Johannes Schröder (1909-1990)
Johannes Schröder wurde am 7. Dezember 1909 in Kiel geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters (Diakon und erster Leiter der Kieler Stadtmission) 1919 war das Leben der vierköpfigen Familie von Armut und Hilfsbedürftigkeit gekennzeichnet. Schröder geriet bereits während seines Vikariates (er absolvierte dies bei dem später führenden Mitglied der Bekennenden Kirche in Schleswig-Holstein, Pastor Johann Bielfeldt in Rendsburg) 1933 in Gegensatz zu den Deutschen Christen und war bereits während seiner ersten Berufsjahre in den Kirchenkampf involviert.
Am 4. Mai 1934 bestand Schröder die 2. Theologische Prüfung. Im Juni 1934 heiratete er seine Verlobte Ingeborg, geb. Siems, und hatte Pfarrstellen in Osterhever/Eiderstedt (hier Geburt des Sohnes Harring; verstorben 2006) und in Albersdorf/Dithmarschen (hier Geburt des Sohnes Hans-Dietrich 1937) inne. Die Jahre in Albersdorf waren geprägt vom Kirchenkampf. Schröder wurde hierdurch zunehmend belastet, meldete sich 1938 freiwillig zur Marine, bewarb sich als Wehrmachtpfarrer und tat ab 1939 als Militärpfarrer Dienst in Neumünster, nach Kriegsausbruch dann in Münster/Westf. Im September 1940 wurde die Tochter Sibylle Maria geboren.
Im Oktober 1940 ließ Schröder sich als Divisionspfarrer zur 8. Division in die Normandie versetzen. Später wurde die 8. Division der 371. Infanteriedivision zugeteilt, die in der 6. Armee schließlich die Schlussphase des Kampfes um Stalingrad mit der Einkesselung mitmachte. Am 31. Januar 1943 wurde Schröder in Stalingrad im Südkessel in russische Gefangenschaft genommen. Am 12. und 13. Juli 1943 wurde das "Nationalkomitee Freies Deutschland" (im Folgenden: NKFD) gegründet. Schröder gehörte nicht zu den Gründungsmitgliedern. Er unterzeichnete zusammen mit den katholischen Geistlichen Karl Doiwa, Josef Kayser und Peter Mohr ein Grußtelegramm aus dem Lager 97 - Jelabuga - an das NKFD: "Wir erklären, dass wir mit allen unseren Kräften für den Sturz Hitlers und seiner Regierung, für die Schaffung eines freien, unabhängigen Deutschland kämpfen werden." Dieses Telegramm markiert als Dokument den Zeitpunkt, zu dem Schröder sich offiziell zu den Zielen des NKFD bekannte. Im September war er Gründungsmitglied des Bundes Deutscher Offiziere[1], das dem NKFD angegliedert wurde, so dass Schröder ab September 1943 Mitglied des NKFD war.
Am 28. August 1943 sprach Schröder in der "ersten kirchlichen Sendung" des Senders "Freies Deutschland". Es folgten dann bis Ende 1945 mehr als 100 Rundfunkpredigten, -ansprachen und -sendungen, an denen er mitwirkte. Alle sind erhalten, eine Veröffentlichung der Rundfunkansprachen ist beabsichtigt.
Seine Frau Ingeborg wurde aufgrund der nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verschärften Regelungen der Sippenhaft am 15. August 1944 wegen der antinationalsozialistischen Tätigkeit ihres Mannes in Kiel inhaftiert und später mit ihren drei Kindern in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar verbracht, über das KZ Dachau von der SS in die Alpen transportiert und im Mai 1945 dort von der deutschen Wehrmacht befreit.
Nach der Auflösung des NKFD kam Schröder im Dezember 1945 nach Berlin. Dort wurde er am 1. Februar 1946 als Referent des Evangelischen Oberkirchenrates zum Oberkonsistorialrat ernannt. Aufgrund von Differenzen mit Otto Dibelius kehrte er im April nach Neumünster zurück. Am 11. Juni 1946 wurde er an die Vicelinkirche in Neumünster berufen und am 23. Juni 1946 dort eingeführt. Sein Propst in Neumünster war vor und nach 1945 Richard Steffen, der 1933 in die NSDAP eingetreten war (und 1937 von ihr ausgeschlossen wurde), kurzfristig auch Mitglied der Deutschen Christen und später ein gemäßigtes Mitglied der Lutherischen Kameradschaft war, also nicht der Bekennenden Kirche angehörte. Steffen ist durch seine problematische Rolle in der Mitte der fünfziger Jahre in der Affäre Ernst Szymanowski-Biberstein innerkirchlich bekannt geworden.
Die ersten Jahre nach 1946 waren geprägt von folgenden Tätigkeitskomplexen:
1. Von einer heute kaum noch vorstellbaren Gemeindearbeit für 12.000 Mitglieder, neben der er noch Gefängnisseelsorger war und gymnasialen Religionsunterricht gab; in der Gemeindearbeit lag ihm die Jugendarbeit besonders am Herzen. Die Teilnehmer der vielen Freizeiten jener Zeit sind heute in der Mitte der siebziger Lebensjahre; als Zeitzeugen der Jugendarbeit Schröders sind sie ausnahmslos voller schöner und bereichernder Erinnerungen an seine Tätigkeit. Dasselbe gilt für seine Konfirmandenarbeit. Sie fand ihre Erfüllung in der von ihm als Herzensangelegenheit aufgefassten Abfassung der "Arbeitshilfen für die Unterweisung der Konfirmanden" zusammen mit Karl Hauschildt (Neumünster 1955), die noch in den achtziger Jahren vielerorts von Pastoren für ihre Arbeit benutzt wurden.
2. Von der Beantwortung von Anfragen Angehöriger von in Stalingrad gefallenen, in den sowjetischen Lagern umgekommenen und überhaupt vermissten Soldaten; diese Beantwortung - etwa 1.000 Anfragen sind erhalten von den nach seinen Angaben ursprünglich ca. 3.000 - erledigte er abends nach Dienstschluss fast täglich bis in die frühen Morgenstunden; die Lektüre dieser Briefe, die noch heute beim Leser eine große Betroffenheit auslöst, muss den Adressaten Johannes Schröder, dessen Stalingraderlebnis ja noch sehr wach war, schwer erschüttert haben.
3. Sofort nach seiner Rückkehr nach Neumünster begann Schröder mit einer regen publizistischen Tätigkeit in Rundfunk, in schriftlichen Publikationen und vor allem in Vorträgen zu dem Thema "Stalingrad - Erlebnis und Aufgabe". Ausgehend von eigenem Erleben der Katastrophe schlug er den Bogen zu zukünftiger Friedenspolitik in Deutschland und in Europa. Er stellte die These auf, dass die Katastrophe von Stalingrad kein sinnloses Ereignis war, sondern dass sie den Deutschen den Blick in eine friedliche Zukunft öffnen könne, wenn denn die Deutschen dies nur wollten. Es ist nicht überraschend, dass dieser Vortrag nicht nur von Schulen, Verbänden, Kirche und Parteien, sondern insbesondere auch von pazifistischen und BRD-kritischen Organisationen (Opfer des Faschismus, Deutsche Friedensgesellschaft) angefordert wurde. Sein Engagement ging so weit, dass er in kirchlichen Kreisen als "Stalingrad-Schröder" sowohl anerkennend, aber auch kritisch gesehen wurde. In den mittleren fünfziger Jahren stellte Schröder seine Vortragstätigkeit ein. Es gibt keine Dokumente über den Grund dieser Beendigung seiner Vortragstätigkeit. Nach Angaben der Familie erfolgte dies, weil er gegenüber der Ungläubigkeit der Hörer über die Echtheit seiner Erlebnisse resignierte; aber auch, weil die Kirchenleitung ihm von weiterem publizistischen Engagement im Hinblick auf eine spätere Karriere in der Landeskirche abriet.
4. In den mittleren fünfziger Jahren begann schließlich vereinzelt die wissenschaftliche Aufarbeitung des Komplexes NKFD. Immer wieder bis weit in die achtziger Jahre wurde er als Zeitzeuge dazu von Historikern befragt. Das grundlegende Werk über das NKFD (Bodo Scheurig: Freies Deutschland, 1960) beruht in vielen Teilen auf seinen Mitteilungen an den Autor. In diesem Zusammenhang mit seinen publizistischen Aktivitäten kam es erwartungsgemäß auch zu inner- und außerkirchlicher Kritik. Für die innerkirchliche Kritik gibt es einige Hinweise in seinen brieflichen Äußerungen. Am 27. Juli 1947 schreibt er an seinen alten Freund Friedrich-Wilhelm Krummacher: "... hier im Westen wäre Schweigen gleichbedeutend mit einer Bestätigung der Verleumdungen gegen uns ... das Misstrauen ist ungeheuer schwer zu überwinden, vor allem auch in kirchlichen Kreisen. Umso erstaunlicher war es, dass ich jetzt hier im Westen einen Ruf nach - Westfalen erhielt ... lmmerhin horcht man jetzt in Schleswig-Holstein auf, dass sich andere Landeskirchen um solche 'Verräter' mit erheblichen Angeboten bemühen."
Die außerkirchliche Kritik fiel erheblich schärfer aus. Schröder wurde als moskauhöriger Agent diffamiert. Am 26. Mai 1950 schrieb ein Neumünsteraner Bürger: "Hier in Neumünster amtiert ein Pfarrer Schröder, Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland ... Schröder wie Nagel (ein Pfarrer in Hessen) sind bezahlte und bewusste Agenten Moskaus, wahrscheinlich sogar heute noch ..." Propst Richard Steffen aus Neumünster nahm dazu folgendermaßen Stellung: "... Herr Pastor Schröder kennt diesen Kampf gegen ihn. Er hat auch früher mit Herrn Bischof D. Halfmann darüber gesprochen ..."
Schröders Erwartung, dass der Komplex Nationalkomitee sich nach und nach erledigen würde, trog jedoch. 1955 ging es in der Kirchenleitung um eine Berufung in das Konsistorialratsamt. In einem Brief vom 2. Juli 1955 schreibt der Bischof von Schleswig, D. Reinhard Wester mit bedauernden Begleitäußerungen an Schröder: "... Es ist der alte politische Komplex, der es untunlich erscheinen lässt, der Kirchenleitung den beabsichtigten Personalvorschlag zu machen." Wester selbst sei wie Bischof Halfmann der Meinung gewesen, dass "diese Dinge" nun der Vergangenheit angehören müssten. "Nun sind aber Stimmen an sein Ohr gedrungen, die es ihm unerwünscht erscheinen lassen, der Kirchenleitung diesen Vorschlag zu machen und Sie damit in unliebsamer Weise in die Diskussion zu bringen." Ein Wort der Anerkennung seiner antinationalsozialistischen Tätigkeit vor 1945 sucht man allerdings vergeblich.
In einer anderen Sache dieser Art wurde Schröder von der Kirchenleitung unterstützt. Schröder schrieb darüber: "... dies war der hasserfüllteste hartnäckigste Angriff gegen mich, in dem sich vor allem Bischof Halfmann und Präsident Dr. Epha in fairer und ritterlicher Art vor mich gestellt haben" (der Jurist Dr. Oskar Epha war von 1954 bis 1964 Präsident des Landeskirchenamtes und hatte vor 1945 den Deutschen Christen nahegestanden). Die Beschuldigungen stammten vom Oberst im Generalstab a.D. Jobst Freiherr v. Hanstein[2] (1896-1982). Sein Name ist Kennern der Geschichte des Nationalkomitees nicht ungeläufig. Er war in den sowjetischen Lagern einer der militantesten und persönliche Nachteile nicht fürchtenden Gegner des NKFD. Leider ist die kirchliche Aktenlage zur Sache von Hanstein sehr lückenhaft. Immerhin geht aus den Befunden hervor, dass v. Hanstein Schröder zunächst nur auf politischer Ebene, später aber auch auf persönlicher Ebene angriff. Es ging schließlich um Vorwürfe der persönlichen Vorteilsnahme, um Geltungsbedürfnis und um Mängel der Kameradschaftlichkeit. Schröder hat zu seiner Entlastung sogar Zeugnisse ehemaliger Mithäftlinge beigebracht. Die Angelegenheit war mehrfach Gegenstand der Sitzungen der Kirchenleitung 1961 und fand ihren Abschluss in einem beeindruckend solidarischen fünfseitigen Schreiben von Bischof D. Halfmann an v. Hanstein. Er schreibt zum Schluss: "... Herr Pastor Schröder hat nach seiner Rückkehr aus Rußland alle Avancen ausgeschlagen, die man ihm damals gemacht hat, und sich allein auf sein geistliches Amt beschränkt, und hält es so seit 15 Jahren. Es hat in dieser Zeit nicht an leidenschaftlichen Angriffen und bösartigen Beschuldigungen gefehlt ..." Zu einer positiven Bewertung der antinationalsozialistischen Tätigkeit kann sich Halfmann auch in diesem Schreiben nicht entschließen; immerhin verwahrt er sich gegen den Vorwurf des Verrates und der Feigheit, den v. Hanstein gegen Schröder erhoben hatte.
Am 1. November 1955 wurde Schröder auf die neugeschaffene Stelle des Sozialpastors der Ev.-lutherischen Landeskirche berufen. Sein Amtssitz war nun Kiel, wohin er mit seiner nunmehr fünfköpfigen (Helmut-Hartwig war 1947, Christiane Elisabeth 1951 geboren) umzog. Die Tätigkeit des Sozialpastors umfasste: Durchführung von und Mitarbeit in Sozialkursen und -tagungen; Übertragung sozialethischer und sozialpolitischer Aktivitäten der Gesamtkirche auf schleswig-holsteinische Verhältnisse; Förderung von betrieblichen und überbetrieblichen Mitarbeiterkreisen; Mitarbeit in den kirchlichen Ausbildungsstätten; Mitarbeit im katechetischen Amt in Fragen der Berufsschule; Kommunikation mit allen berufsständischen Körperschaften; Fortbildung aller kirchlichen Mitarbeiter einschl. der Pastoren auf sozialethischem und sozialpolitischem Gebiet; wissenschaftliche Bearbeitung sozialpolitischer und sozialethischer Fragen.
Ein wesentlicher Schwerpunkt seiner Arbeit in diesem Amt war entsprechend der Fokussierung auf betriebliche Mitarbeiterkreise die traditionell "Männerarbeit" genannte Tätigkeit. Hier hatte er engen Kontakt zur kirchlichen Aktionsgemeinschaft für Männerfragen und dem Arbeiterwerk der Evangelischen Männerarbeit aufzubauen bzw. zu erhalten.
Nach den im Nachlass befindlichen Unterlagen kam es zu verschiedenen Angeboten seitens der Kirchenleitung - Propst in Segeberg, Propst in Itzehoe, Propst in Schleswig -, die aber alle nicht realisiert wurden. Es gibt seitens der Familie mündliche Hinweise darauf, dass der jeweils zuständige Bischof Schröders Berufung zwar positiv beurteilte, dass der "alte politische Komplex" jedoch weiterhin Bedenken aufkommen ließ. Es gibt dafür keine schriftlichen Belege. Ende 1957 wurde Schröder aufgrund seiner erfolgreichen Tätigkeit als Sozialpastor in Kiel zum Nachfolger von Alfred Petersen als Leiter des Diakonischen Werkes in Rendsburg berufen. Petersen war mit Schröder zusammen ordiniert worden und ging als Propst nach Husum; er hat die Berufung Schröders nach Rendsburg unterstützt. In dieser Funktion war Schröder Landespastor der Inneren Mission und Beauftragter für das Evangelische Hilfswerk Schleswig-Holstein.
In der Folgezeit übernahm Schröder vielfältige und herausragende Ämter auf Landes- und Bundesebene. Von 1960 bis 1975 war er Landeskirchenrat im Nebenamt; er war Mitglied der Kieler Kirchenleitung; von 1966 bis 1976 Vorsitzender der Diakonischen Konferenz der EKD; von 1963 bis 1976 Mitglied des Diakonischen Rates der EKD; von 1969 bis 1975 Vorstandmitglied des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge; mehr als zwölf Jahre bis 1976 Mitglied im Verteilerausschuss der Aktion "Brot für die Welt". In der Kieler Stadtmission, dem Werk seines Vaters, war er seit 1957 Vorstandsmitglied, von 1977 bis 1988 Vorsitzender, danach Ehrenvorsitzender. In dem Buch "Die Diakonie im Lande zwischen Nord- und Ostsee" hat er 1986 die Entwicklung der Diakonie im Norden und damit auch sein eigenes Wirken eingehend dargestellt. Ende 1974 trat Schröder seinen Ruhestand als Leiter des Diakonischen Werkes an. Am 28. Juli 1990 starb er in Kiel.
Peter Godt
Aus: Vorläufige Materialsammlung zur Vorbereitung auf die Tagung am 3./4. Februar 2015 in Breklum "Die Bekennende Kirche in Schleswig-Holstein von 1933 bis 1945. Aufbruch und Neuorientierung der Landeskirche Schleswig-Holstein nach 1945", erbeten - verfasst - zusammengestellt von Jens-Hinrich Pörksen. Der Verfasser ist mit der jüngsten Tochter von Johannes Schröder verheiratet. Er dankt Herrn Hans-Dietrich Schröder (Handewitt), Dr. Helmut-Hartwig Schröder (Rendsburg) und Dr. Christiane Godt, geb. Schröder (Kiel) für mündliche Ergänzungen des Quellenmaterials. Jetzt abgedruckt in: Karl Ludwig Kohlwage, Manfred Kamper, Jens-Hinrich Pörksen (Hrsg.): "Was vor Gott recht ist". Kirchenkampf und theologische Grundlegung für den Neuanfang der Kirche in Schleswig-Holstein nach 1945. Dokumentation einer Tagung in Breklum 2015. Zusammengestellt und bearbeitet von Rudolf Hinz und Simeon Schildt in Zusammenarbeit mit Peter Godzik, Johannes Jürgensen und Kurt Triebel, Husum: Matthiesen Verlag 2015, S. 202 ff.