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Martin Bertheau (1882-1946)

Martin Bertheau ist am 29. Januar 1882 in Hamburg geboren und ent­stammt einer Hugenottenfamilie, die im Jahre 1685 aus Südfrankreich nach Hamburg eingewandert war. Sein Vater war Pastor an der St. Mi­chaeliskirche in Hamburg. Als sechstes Kind unter acht Geschwistern machte er im Jahre 1900 am Johanneum sein Abitur.

Gerne wäre er Architekt geworden. Diese Neigung - zusammen mit der für Kunstgeschichte - hat ihn sein Leben lang begleitet. Darüber hinaus war es die Weltliteratur und noch mehr die Musik, die ihn interessierten. Demnach war er ein Mensch einer weitgespannten Allgemeinbildung.

Diesen vielseitigen Begabungen und Interessen entsprach sein weiterer Bildungsweg: Das Theologiestudium führte ihn nach Greifswald, Berlin und vor allem sechs Semester nach Halle zu Martin Kähler. Nach den Theologischen Examina in Hamburg in den Jahren 1904 und 1907 und einer Zwischentätigkeit im Friedhofsdienst in Ohlsdorf ging er als Lektor an die theologische Fakultät in Montauban/Südfrankreich. Hier bereitete er sich zusätzlich auf das Oberlehrerexamen vor, das er 1908 in Hamburg absolvierte. Bis 1911 war er an verschiedenen Hamburger höheren Schu­len als Oberlehrer tätig. Die Jahre 1912 bis 1915 führten ihn dann als Kate­cheten an die allgemein hochgeschätzte Schule an der deutschen St. Petrigemeinde in Kopenhagen.

Im Jahre 1915 wurde Martin Bertheau schließlich Gemeindepastor und zwar in der Kirchengemeinde Woyens bei Hadersleben, und nach der Ab­stimmung über Nordschleswig 1920 kam er nach Bargum bei Bredstedt. Am 4. Oktober 1925 wurde er Propst für die Propstei Südangeln in Kap­peln. Für seine Mitarbeit in der Kommission zum Gesangbuch 1930 brachte Bertheau eine unvorstellbare Kenntnis mit: Er kannte die Lieder aus vielen Gesangbüchern aus alter und neuer Zeit und beherrschte Ab­weichungen bis ins Detail. Seine umfassende Gesangbuchbibliothek kam später an die Universität Kiel.

Die Kirchenchronik von Kappeln 1925 bis 1933 bezeugt seine Bejahung der politischen Wende aus der tiefen Not unseres Vaterlandes heraus. Die Ablehnung der "Deutschen Christen" (DC) aber ist von Anfang an klar und eindeutig. Im Landeskirchenamt Kiel wurde ihm die Frage vorgelegt: Stehen Sie zum Führer Adolf Hitler? Seine Antwort: "Ja, soweit das einem Christen möglich ist". Treten Sie hundertprozentig, bedingungslos für den Führer ein? "Soweit das einem Christen möglich ist."

Am 2. November 1933 wurde er vom Amt des Propstes enthoben. Eine Versetzungsverfü­gung als Pastor der Kirchengemeinde Husby zum 15. November 1933 wurde erlassen. Der dortige Pastor Georg Claussen, Schwiegersohn des Generals Lietzmann, wurde zum gleichen Tag Bertheaus Nachfolger in Kappeln. "Soweit das einem Christen möglich ist" - das hatte im Landeskir­chenamt keine Gültigkeit. Die Einführung in Husby erfolgte wegen des Protestes gegen seine Absetzung erst am 10. Dezember 1933 und zwar durch den offiziell schon nicht mehr im Amt befindlichen Propst Classen-Sörup.

Bei der Konfirmandenprüfung am 10. März 1934 wies Bertheau in der Ansprache an die Eltern darauf hin, daß diese Kinder in den Kampf zwi­schen Christenglaube und Antichristentum geraten würden. Er wurde deshalb bei Landrat und Kreisleiter in Flensburg angezeigt.

Sonnabendabends, 16. Juni 1936, erschien im Pastorat der Gendarm und forderte Bertheaus Unterschrift, daß er das Wort der Bekenntnis-Syn­ode der Altpreußischen Union vom 4./5. März 1935 auf keine Weise ver­breiten würde. Martin Bertheau lehnte das ab. Er wurde verhaftet, ob­wohl am nächsten Tag, dem Volkstrauertag, der Kirchenbesuch beson­ders hoch sein würde. Der Amtsvorsteher war nicht zu Hause. Was nun?? Von Flensburg erfuhr der Gendarm telefonisch, daß die Angelegenheit dort abgebrochen sei; er könne alles auf sich beruhen lassen. Bertheau wurde aus der Haft entlassen. Über die Rat- und Hilflosigkeit konnte er schmunzeln, die Gewissensbelastung des Gendarms Behrens aber nahm er sehr ernst, welcher seinen Pastor hatte verhaften müssen.

Mitte Juni 1936 wurde Peter Jensen (Ausacker) wegen einer Äußerung bei einer Beerdigung in Grundhof verhaftet. Er bekam Gefängnisstrafe, wurde nach Verbüßung der halben Zeit am 30. Oktober 1936 wieder frei­gelassen. Dieses Ereignis hat in der Gemeinde und weit darüber hinaus erhebliche Erregung und ernste Zweifel bis in die Reihen der Parteigenos­sen ausgelöst: Sieht das Recht des NS-Staates so aus?? Kann er, der all­mächtige, das Wort eines aufrechten Mannes nicht verkraften?

Bei einem Kirchentag der Bekennenden Kirche am 8. Dezember 1936 in Husby wurden 480 Teilnehmer gezählt aus ganz Nordangeln. Die Predigt hielt Pastor Wilhelm Halfmann aus Flensburg, welcher auch das Thema behandelte "Die Kirche und die Juden". Pastor Johannes Tramsen aus Innien sprach "Das Kreuz und die Kirche".

Am 13. April 1938 unterzog die Geheime Staatspolizei im Husbyer Pa­storat Bertheau einem eingehenden Verhör wegen verschiedener Ankla­gepunkte. Da waren immer zwei Beamte und die mischten abwechselnd bunt zusammen, was nachher im Protokoll niedergeschrieben war. Erhob der Vernommene Einspruch: "Das habe ich nicht gesagt", lautete die Ant­wort: "Aber Sie haben nicht widersprochen". Diese Männer verstanden ihr Handwerk. Solch eine Vernehmung war keine Kleinigkeit! Das in Aus­sicht genommene Verfahren fiel zum Glück für Bertheau unter eine Am­nestie.

Am ersten Advent 1945 hat der ebenfalls 1933 abgesetzte Bischof Edu­ard Völkel Martin Bertheau zum Propst der Propstei Nordangeln mit dem Dienstsitz in Husby eingeführt - ein bewegendes Ereignis nach 12 Jahren! Aber schon am 28. Februar 1946 traf ihn ein Herzschlag auf dem Heim­weg von Ausacker nach Husby. Er wurde mit seinem Fahrrad vom Schnee verweht am Wege gefunden. Bei der Beerdigung am 6. März 1946 waren 33 Pastoren und Pröpste mit der Gemeinde und der Familie ver­eint. Wilhelm Halfmann hielt die Predigt auf Bertheaus Kanzel über Lu­kas 18,31 "Sehet wir gehen hinauf gen Jerusalem ..." der Gottesstadt - der Ort des Kreuzes - die hochgebaute Stadt.

Durch seine Klarsicht und seine überlegene, entschiedene Haltung hat Propst Bertheau den Gliedern seiner Gemeinden wie auch seinen Amts­brüdern in Süd- und Nordangeln und weit darüber hinaus Wegweisung und Hilfe in den oft so schwierigen Entscheidungen gegeben. Er selber hat hart darunter gelitten, daß Bindung an außerkirchliche Mächte, deren Quellen letztlich im Antichristentum lagen, die Gemeinschaft mit Brü­dern im Glauben unmöglich machte.

Rudolf Hoffmann

Aus: Wolfgang Prehn u.a. (Hrsg.), Zeit, den schmalen Weg zu gehen. Zeugen berichten vom Kirchenkampf in Schleswig-Holstein, Kiel: Lutherische Verlagsgesellschaft 1985, S. 193-195.